Rocío Molina im Linzer Posthof: Al Fondo Riela

Dies ist die zweite Betrachtung des zweiten Teils der Gitarrentriologie von Rocío Molina. Diesmal dankenswerterweise vom Gitarristen Bruno Chmel. Die erste nach der Premiere bei der Bienal de Sevilla lesen Sie hier.

Al fondo riela und Lo Otro del Uno, also “das Funkeln, Leuchten, Schimmern im Hintergrund“ und „Das Andere von Einem“ (vielleicht auch in einem), Titel, die Rocío Molina, 1984 in Torre del Mar geboren, dem zweiten Teil ihrer Trilogie über die Gitarre verleiht, weisen auf nie wirklich aufzulösende, existenzielle Fragen menschlichen Daseins hin, auf Zustände innerer Zerrissenheit und das fortwährende Andocken und Loslösen an und von der Welt in ihren mannigfaltigen, natürlich auch menschlichen Erscheinungsbildern.

Dieses Knäuel an Verstrickungen in den unterschiedlichsten emotionalen Facetten spiegelt sich in einer scheinbar unendlichen Palette von Ausdrucksformen im Tanz von Molina wider, mühelos sind anspruchsvollste Zapateado-Muster darin eingebettet; genau das macht sie zu einer der bedeutendsten Tänzerinnen des Zeitgenössischen Flamenco. Es ist ganz einfach berührend, zuzusehen und zu spüren, dass Rocío die Zuseher:innen auf ihre eigene, individuelle Orpheus-Reise schickt, müßig daher, mit emotional aufgeladenem Vokabular allgemein Gültiges an ihrer Choreographie festzunageln.

Für mich als Gitarristen mit großer „Flamenco-Afición“ war und ist natürlich die Konstellation spannend: Zwei Gitarristen und eine Tänzerin, mehr nicht, kein Gesang als zentrales Element dieser Musik, keine Palmas. Also kurioserweise genau jene als Mangel empfundene Konstellation häufiger „außerspanischer“ Flamencodarbietungen, denen es oft an kompetenten Sänger:innen und Palmeros fehlte.

Zu meiner eigenen Verwunderung ertappte ich mich im Laufe der Darbietung dabei, keinen Augenblick an Gesang und Palmeros gedacht zu haben und trotzdem dieses ganz eigene, wohltuende, untrennbar mit „Flamenco Puro“ verbundene Gefühl zu empfinden. Und dies, obwohl, rein objektiv betrachtet und was immer das auch heißen mag, dieses musikalisch-tänzerische Produkt ganz anderswo angesiedelt ist.

Die klangfarbenreichen Wechselspiele der beiden Gitarristen Yerai Cortés und Òscar Lago, ihr zartes, sparsames, bisweilen nur punktuelles Setzen einzelner Töne, rasant gesteigert zu einem Flirren von Rasgueados und perkussiven Elementen imaginieren orchestrale Klänge, die keiner Ergänzung bedürfen. Aber es ist vor allem der Umgang mit dem musikalischen Vokabular der Flamencogitarre, der fasziniert, der Rückgriff auf ganz einfaches, altes melodisches Material, in Lehrwerken erprobt, das pointiert und mit sorgfältig ausgewählter Lautstärke und Farbe, genau zum richtigen Zeitpunkt gesetzt, genauso begeistert, wie darauffolgende, von der modernen Jazzharmonik geprägte virtuose Fortschreitungen.

Es gibt kein „Alt“ und „Neu“, wird suggeriert, es gibt nur das Richtige zum richtigen Zeitpunkt, und vielleicht stimmt das auch. Sehr faszinierend, wie Yerai Cortés in seiner als Solo beginnenden Soleá die daraufhin erscheinende Rocío Molina am Beginn der Escobilla nur mit einem sanften Streichen der Saiten mit den Fingerkuppen begleitet. Die „Dreiecksbeziehung“ der Seguiriya mit Rocío Molina in zwiespältig oszillierender Bewegung zwischen den tiefer gestimmten Basssaiten Óscar Lagos und den hohen Diskantklängen von Yerai Cortés, einem Hin und Her also zwischen dunkel und hell, ist nicht nur von hoher, perfekt verzahnter musikalisch-tänzerischer Virtuosität, sie versteht es auch gekonnt, Spannung sukzessive aufzubauen.

Das Jonglieren der Gitarren mit unterschiedlichen Stilelementen, dem Klang der klassischen Gitarre mit kurzen „klassischen“ Ausflügen am Beginn der den Abend einleitenden Farruca, die virtuose, harmonisch reiche und rhythmisch diffizile moderne Flamencogitarre neben bewusst Traditionellem in ausgesucht sprödem Klang, der Spagat, das Echo der Gitarre nahezu unbemerkt und unaufdringlich in Streicherklängen verebben zu lassen; all dies vermag es, in äußerst gelungener Interaktion mit dem ebenso facettenreichen Tanz den Eindruck eines „postmodernen Stilpluralismus“ im Flamenco zu vermitteln, der gerade dadurch authentisch, mit Bodenhaftung, ja „puro“ wirkt!

Ironische Häppchen relativieren Melodramatisches, nicht nur das abschließende Kichern der Tänzerin im gesichtslosen, mit dem Bühnenbild konform gehenden Tanzkostüm, sondern auch kleine Details wie das Integrieren des Gitarre-Stimmens in die Performance im Sinne von -Bring auf die Bühne, was dahinter geschieht -.

Sehr durchdacht, sehr gekonnt inszeniert und von hoher Kompetenz und Virtuosität! Ein großartiger Abend.

Rocío Molina

Al fondo riela (LO Otro del Uno)

Linzer Posthof, Tanztage

24.04.2024

Text: Bruno Chmel

Fotos: Susanne Zellinger