Die Flamencobiennale NL ist eines der ganz großen Festivals, ein Meisterwerk an Organisation und jedes Mal ein Ausflug in eine andere Welt. Darum freue ich mich jedes mal sehr, wenn Ernestina van de Noort mich einlädt um eine Einführung zu halten, diesmal zum dritten Teil der Trilogie von Rocío Molina in Kerkrade, im Süden Hollands.
Eigentlich wollte ich meine Einführung ja so nennen, und den Text finde ich immer noch sehr treffend, dann eben hier:
Far from the madding crowd
Es gibt verschiedene Interpretationen dieses Titels des berühmten Romans von Thomas Hardy, aber diejenige, die ich am passendsten finde, trifft am besten auf Rocío Molina zu: Sie war die Erste, die ankam, als alle anderen noch weit weg waren. Mit den Worten von Bathsheba Everdene, der Protagonistin des Romans, würde das heißen: „Ich werde auf sein, bevor du wach bist; ich werde unterwegs sein, bevor du auf bist; und ich werde gefrühstückt haben, bevor du unterwegs bist. Kurzum, ich werde euch alle in Erstaunen versetzen.“
Daran hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. Mit ihrer Trilogie über die Flamenco-Gitarre sprengt sie einmal mehr alle Ketten und zeigt, dass sie nicht nur die Frontfigur der weiblichen Avantgarde, sondern auch die herausragendste Tänzerin ihrer Generation ist.
Am Mittwoch bewies Rocío Molina im Theater von Kerkrade eben dies ein weiteres mal. Der dritte Teil ihrer Trilogie zur Gitarre ist für ein nicht eingeweihtes Publikum vielleicht am schwersten zu verstehen, denn hier nimmt sie sich alle Freiheiten.
Der erste Teil ihrer Trilogie mit dem Titel Inicio (Uno) ist ein intimer Traum mit dem Meister Rafael Riqueni, in dem die Farbe Weiß eine große Rolle spielt: Weiß ist die Farbe der Unschuld und der Reinheit, wie sie durch das Brautkleid symbolisiert wird, oder der Heiligkeit und des Heils. Es steht für Reinheit, Glauben, Licht, Gottheit, Unschuld und Unberührtheit.
Über den zweiten Teil ihrer Trilogie sagt sie folgendes: Auf jede Transzendenz folgt eine dunkle Nacht der Seele. Unter dem langsamen Vorbeiziehen der Wolken taucht das stürmische schwarze Meer auf und dringt in alles ein. Al Fondo Riela ist die Antithese zu Inicio (Uno), die Begegnung mit dem Anderen des Einen.
Mit Vuelta a Uno beschließt Molina ihre Trilogie von mehr als vier Stunden Tanz. Eine entfesselte Party, in der alles möglich ist, eine Rückkehr in die Kindheit, in der die Welt noch in Ordnung ist und die Angst nicht existiert.
In der man blaue Kaugummiblasen machen darf und das Zuckerarmband aufisst, so es Spaß macht, man noch nicht weiß, dass es Unglück bringt, wenn man Salz verschüttet und in der man seinem Komplizen den nächsten Streich ins Ohr flüstert.
In Yerai Cortés hat sie den perfekten Kumpan für ihre Caprichos gefunden, der sich jeder ihrer Launen fügt, jedoch auch das Ruder herumreißt und die Initiative ergreift, wenn Rocío müde wird, der mit drei Tönen auf der Gitarre eine Melodie schafft, die sie erstaunt aufblicken lässt, der sich mit ihr auf den Boden legt um zu träumen.
Seine Gitarre ist zugleich klassisch und avantgardistisch und da trifft er sich mit Rocío, deren Tanz so klassisch ist, dass sich auch die Traditionalisten freuen könnten, wären da nicht die Kaugummiblasen – im Compás zwar – aber dennoch irritierend, das Knacken des Zuckerarmbands, die blaue Zunge, die sie fröhlich herausstreckt und das Ungewitter der Bühnenlichter am Ende, und, und, und ….
An diesem Abend gelang den beiden praktisch alles, sie überraschten, sie spielten und sie beglückten ein begeistertes Publikum, das sich sowohl zur Einführung als auch zum folgenden Publikumsgespräch zahlreich versammelte.
Ein berauschender Abend, der am 29. Januar in Arnheim noch einmal gezeigt werden wird. Dazwischen gibt es Solokonzerte von Yerai in Utrecht und Amsterdam. Details finden Sie auf der Webseite der Bienal.
Rocío Molina
Vuelta a Uno
24.01.2024 PLT/Kerkrade
Text: Susanne Zellinger
Fotos: Eric van Nieuwland