Rocío Márquez hat ein Engelsgesicht, aber dahinter spürt man den eisernen Willen, sie ist hochintelligent, sie weiß, was sie will und sie hat keine Angst – mehr. Geboren 1985 in Huelva in einer Familie von Aficionados ging sie den klassischen Weg, Wettbewerbe, Peñas, die ersten Preise, wohlwollend betrachtet von den strengen Augen der Kritik. Aber da brodelte es schon in ihrem Kopf und was soll’s, es musste heraus. Mit „El Niño“, einer Produktion aus dem Jahr 2014 begann sie bei den Orthodoxen eine gewisse Unruhe zu verbreiten, die sich bis heute nicht gelegt hat, mit ihrer neuen Arbeit „Firmamento“ beginnen die Wellen sich wieder zu glätten. Wir trafen Rocío in Sevilla nach ihrem triumphalen Auftritt in der Caja Sol.

Im Publikum saßen unter vielen anderen  Künstlern Leonor Leal, Patricia Guerrero, Ana Morales, Chloé Brulé und Marco Vargas und Niño de Elche.

Erzähl doch mal, wie dieses Feuerwerk entstanden ist, ich hatte dich viel zurückhaltender in Erinnerung!

Eigentlich war das ein ganz natürlicher Prozess und alles, was ich bisher gemacht habe war irgendwie eine Annäherung an dieses Projekt. Begonnen hat alles vor Jahren mit einer Auftragsarbeit des Teatro Real in Madrid, parallel zur Flamencooper, die Mauricio Sotelo über das Stück „El público“ von Federico García Lorca komponiert hatte. Da waren Arcángel, Jesús Méndez, Rubén Olmo, Cañizares und Agustín Diassera dabei und einerseits war ich natürlich stolz, aber andererseits wollte ich etwas Eigenständiges über Lorca machen, viele der großen Flamencos haben sich ja mit ihm beschäftigt und da muss man sich schon anstrengen um sich abzuheben.

Ich kontaktierte die Musiker von „Proyecto Lorca“ und Pedro G Romero. Mit ihm arbeite ich immer auf die gleiche Weise: Ich erzähle ihm, was ich machen möchte und er überschüttet mich mit Informationen, da kommen dann seitenlange Emails mit Hinweisen auf andere Künstler, Werke, geschichtliche Hinweise, da öffnet sich immer eine Welt für mich.

Für Madrid schufen wir die drei Suites, sie sind auf der CD als Bonus Tracks am Schluss drauf und nach dem Auftritt war mir klar, dass ich hier weiter machen wollte.

Ich war begeistert und ich hatte mich auf eine völlig neue Weise gehört. Wenn du immer mit den gleichen Menschen einen Dialog führst, verwendest du immer die gleichen Codes und eigentlich kennst du die Antworten schon, das ist angenehm und gibt Sicherheit, aber wenn du mit neuen Leuten in einen Dialog trittst, führt dich das ganz woanders hin und das ist faszinierend.

Rocío Márquez fotografiada por David Mudarra (5)

Wann war denn das?

Das war 2014 und in den folgenden Jahren haben wir das Projekt durch gezogen. Ich habe bei Universal angerufen und sie waren interessiert, ich sprach mit Raul Refree über die künstlerische Produktion und dann begannen wir generalstabsmäßig zu planen, jeder Probentermin wurde wie ein Auftrittstermin behandelt und dann legten wir los.

Wir nahmen uns Zeit um zu proben, wir durften uns auch irren, wir nahmen ein Stück öfter auf, wir hörten es an, wir versuchten jedem Instrument seinen Platz zu geben. Die Formation ist ja eigentlich typisch für den Jazz, mit Piano, Sax und Perkussion, aber unser Pianist kommt zum Beispiel von der klassischen und der zeitgenössischen Musik und das hört man auch.

Von den drei Suiten hast du schon erzählt, wie entstanden die anderen Stücke?

Die Hälfte davon ist ja von mir und ich gehe immer von der Letra, vom Text aus. Ich komponiere allein, nach dem Gehör und mit Klavier, das habe ich am Konservatorium studiert, und dann fahre ich mit der Komposition nach Barcelona und gemeinsam mit Raul Refree machen wir die Arrangements. Die nehmen wir auf und schicken sie dann den Musikern.

Dani schreibt dann die Noten auf, das kann ich nämlich nicht, die Musiker üben sie und dann treffen wir uns wieder, spielen und hören wie es klingt. Manche gefallen uns, manche verändern wir total. Dann fahre ich wieder nach Barcelona, komme zurück und das ganze passiert noch einige male. Wie gesagt, wir nehmen uns Zeit.

Die Premiere war ja beim Frühlingsfestival in Prag. Wie kam das denn zustande?

Eine der Verantwortlichen hörte uns in Madrid und sie lud uns ein. Das war perfekt für mich, so hatte ich sozusagen eine Generalprobe vor der Präsentation in Sevilla, man weiß ja nie, wie das auf der Bühne kommt, ein Live Auftritt ist ja ganz etwas anderes als wenn du im Studio spielst.

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Die Texte sind auch sehr interessant und aktuell

Sie wurden alle von Frauen geschrieben. Ich wollte Texte, die mir nahe sind, die mit Themen zu tun haben, die mich beschäftigen. Die anderen habe ich ohnehin schon sehr lange gesungen, die Fandangos de Huelva, wo es immer um das gleiche ging, El Rocío, die Marismas , aber es gibt Themen über die noch nie gesungen wurde, wie die Umweltverschmutzung zum Beispiel, die in Huelva eine große Rolle spielt. Huelva ist eine der am meisten kontaminierten Städte Spaniens mit einer unglaublich hohen Krebsrate, darüber wollte ich singen und das tat ich mit dem Text von María Salgado.

Die Romance ist von Christina Rosenvinge, die mich schon immer begeistert hat. Sie war auf einem meiner Konzerte und ich bat sie mir einen Text zu schreiben.

Die Seguiriya und die Caracoles sind von Isabel Escudero, einer großartigen Dichterin, sie ist die Autorin eines kleinen Büchleins „Alfileres“, das ich immer in meiner Tasche trug und manchmal flocht ich eine Textzeile in eines meiner Lieder ein, so wie das „Das schlimmste an der Strafe ist wenn du beginnst die Ketten zu mögen“. Ich lernte sie sogar kennen, aber sie starb an dem Tag an dem ich ihr die ersten Probeaufnahmen schickte.

Warum sind denn alle Texte von Frauen geschrieben?

Das ist eine Frage des Gleichgewichts. Nachdem alle anderen Beteiligten Männer waren, suchte ich auch die weibliche Energie für die CD, außerdem identifiziere ich mich im Moment mehr mit dem, was die Frauen zu sagen haben.

Waren deine Anfänge waren nicht eher traditionell?

Ich habe in den Peñas und bei Wettbewerben begonnen und es war gar nicht einfach mich davon loszusagen und damit zu brechen, denn ich hatte ja die Anerkennung des konservativen Teils der Aficionados, aber ich musste mich davon befreien, es war eine künstlerische Notwendigkeit, mein Innerstes verlangte es von mir. Ich habe es mir einfach erlaubt, aber ich bereue auch nichts von alldem, was ich vorher gemacht habe.

Ich empfinde es als Privileg an neuen Projekten mit interessanten Künstlern teilhaben zu können, oder dass der Flamenco in die Welt der Universitäten eintreten kann. Wir in unserer Generation erleben eine völlig andere soziale Realität als die vor uns und wir müssen einen neuen Diskurs führen.

Huelva war immer ein wenig abseits im Vergleich zu anderen Städten

Ich denke, das hatte einfach mit der geografischen Lage zu tun. Wenn du an die Linie Utrera, Lebrija oder Morón denkst, führ sie ein Stückchen weiter und du landest direkt in Cádiz. Wir wurden von der Coto Doñana abgetrennt, das hat früher eine Rolle gespielt und Huelva beschäftigte sich lange Zeit mit seiner Folklore, den Fandangos eben, aber heute spielt das keine Rolle mehr.

Du kommst aus einer Familie von Aficionados aus Huelva

Oh ja, meine Mutter singt sehr gut, auch zwei von meinen Cousinen, aber sie trauten sich nicht auf die Bühne. Auch einer von meinen beiden Großvätern sang sehr gut und der andere hatte eine Taverne, „La Madrileña“, wo viele der berühmten Flamencos verkehrten, wie Marchena zum Beispiel. Auf unseren Familienfesten gibt es immer Flamenco, aber nur im privaten Rahmen.

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Hat dir dein Aussehen geholfen oder war es eher hinderlich?

Heute finde ich es positiv, weil ich anders aussehe und die Menschen sich deswegen besser an mich erinnern, aber früher war es eher schwierig. Als junges Mädchen färbte ich mir die Haare schwarz. Ich war schwer traumatisiert von diesen blonden Haaren und den hellen Augen. Als Kind willst du einfach dazugehören zu einer Gruppe und nicht ganz anders aussehen. Und ich fragte meine Mutter immer: „Wie kann das sein, dass meine Schwester dunkle Haare und braune Augen hat? Und diese dunkle Haut, wir sind wie Tag und Nacht, wieso sehe ich so anders aus?“ Und meine Schwester genauso: „Wieso kann sie singen und ich nicht?“. Wie du siehst, hatten meine Eltern es auch nicht ganz leicht.

Ich begann mit 9 Jahren zu singen und immer, wenn wir bei der Peña ankamen fragten alle meine Schwester: „Du wirst also heute singen?“ und sie sagte „Nein, das ist sie.“ Damals war mir auch ganz egal, was ich anhatte und es gibt ein Video und Fotos auf denen ich zu sehen bin mit einem Pokal, der größer war als ich und ich trug einen Trainingsanzug mit einer riesigen Micky Maus vorne drauf. Aber gut, heute bin ich ganz zufrieden.

Wie siehst du die Situation der Cantaoras heute?

Sie haben es sicher leichter als früher. Ich denke da an die Peña femenina in Huelva, die gegründet wurde, damit auch Frauen rein durften, das ist heute undenkbar, wenn man mir den Zutritt zu einer Peña verwehrt, zeige ich sie an. Oder dass Frauen, die gesungen haben ein schlechtes Image hatten, das gibt es nicht mehr. Dennoch bleibt noch einiges zu tun, aber das ist auch eine Frage des Bewusstseins. Je mehr ich mich damit beschäftigte, zum Beispiel während meines Masterstudiums an der Universität, umso mehr wird mir bewusst, wie viele Ungleichheiten es noch gibt. Und nicht weil der Flamenco besonders machista ist, nicht mehr als die gesamte Gesellschaft, wir leben in einem patriarchalischen System und Punkt.

Wir haben es heute aber auch deshalb leichter, weil Frauen wie Carmen Linares oder Mayte Martín viel dafür getan haben.

Ich wünsche dir viel Erfolg mit „Firmamento“ und hoffe, dass du bald zu uns in den hohen Norden kommst.

„Firmamento“ erschienen bei Universal.

Fotos von Celia Macias und David Mudarra