Pilar Albarracín ist eine der erfolgreichsten Performancekünstlerinnen Spaniens. Sie ist Spanierin, mehr noch, sie ist Andalusierin, mehr noch, sie kommt aus der kleinen Stadt Aracena in der Sierra von Huelva. Sie hat diesen Maurenmädchenblick, ihre Augenbrauen schimmern wie die alten Brücken über dem Guadalquivir in der Abenddämmerung. Sie färbt sich gerne die Lippen rot und liebt Handtaschen mit Punkten drauf. Sie ist eine Frau, zu viel Frau für manchen Mann, sie ist Flamencoaficionada und hat eine Schwäche für den Stierkampf.
Das ist die eine Seite. Denn sie ist auch eine selbstbewusste, moderne Feministin, sie reist, sie hat Ausstellungen auf der ganzen Welt und das faszinierende an ihrer Kunst ist eben das: Sie steht zu ihrer folkloristischen, mit Klischees behafteten andalusischen Heimat, aber sie löst diese Klischeebilder aus ihrem vertrauten Umfeld, bringt sie in einen anderen Kontext und eröffnet dadurch einen vollkommen neuen Blick auf altbekannte Stereotypen. Sie tut das aber nicht indem sie Dinge, Tiere oder Menschen bloßstellt oder sie grausam zerpflückt, sondern indem sie sie mit Ironie, Humor und einer gewissen Zärtlichkeit neu erschafft.
Sie macht auch vor sakrosankten Bräuchen wie der Semana Santa nicht halt: In einem ihrer Projekte stellte sie einen Paso de Cristo auf den Kopf, wer Andalusien kennt, kann sich vorstellen, was für ein Aufsehen das gab, in einem anderen Zusammenhang fotografierte sie eine Reihe von „Vírgenes“, also Marienfiguren. In Spanien gibt es davon ja viele und jede hat einen anderen Namen, Esperanza, Macarena, sie holte diese Jungfrauen fotografisch von den Altären herab und stellte sie so auf, als würden sie sich zu einem Kaffeekränzchen zusammenfinden und sich miteinander über ein Tortillarezept unterhalten.
Die Jungfrau und auch die Jungfräulichkeit ist ein Thema, das oft in ihren Arbeiten vorkommt. In einer ihrer bekanntesten Videoperformances, „Lunares“, aus dem Jahr 2004 steht sie in einem blendend weißen Kleid vor einer Musikkapelle. Sie ist geschminkt, trägt rote Ohrringe und man wartet, dass sie zu tanzen beginnt. Doch da ist plötzlich diese Nadel in ihrer Hand. Mit schnellen, kleinen Bewegungen sticht sie sich an verschiedenen Stellen in den Körper, sodass überall „Lunares“ entstehen, rote Punkte wie auf einem Flamencokleid. Sie tut das mit einer solchen Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit, dass es dem Zuschauer unmöglich ist, den Blick abzuwenden, auch dem, der eigentlich kein Blut sehen kann.
Auf die Frage, wie denn das Publikum auf die Performance reagierte, sagt Pilar Albarracín folgendes:
„Das kann ich nicht so genau sagen, ich war ja sehr beschäftigt. Das waren natürlich auch nicht viele Leute, sondern eine Gruppe von Menschen, die ich eingeladen hatte. Aber normalerweise ist die Reaktion des Publikums schon sehr heftig. Was ich mache ist keine Theateraufführung, die einmal in diesem, einmal in einem anderen Theater stattfindet. Ich probe oder übe ja auch nicht dafür. Ich mache es einmal und dann nie wieder. Was ich erzählen wollte, habe ich erzählt und das war’s. Ich nehme es auf Video auf und dann zeige ich es. Das ist einerseits wunderbar, weil du eben diesen einen Moment immer wieder hervorholen kannst, andererseits hat es auf dem Video natürlich nicht diese Unmittelbarkeit, als wäre man dabei gewesen.“
In einer ihrer Installationen „Muro de jilgueros“ greift sie ein anderes Bild andalusischer Tradition auf, die uns schon fast exotisch erscheint, weil in unserer politisch korrekten Welt manche Dinge einfach nicht möglich sind: Man stelle sich den kleinstmöglichen Vogelkäfig vor, ungefähr in der Größe einer Schuhschachtel, darin ein kleines einzelnes Vögelchen, das vor sich hinzwitschert um seinen Besitzer zu erfreuen. Das ist sein einziger Daseinszweck. Der Vogel ist allein, damit er sich nicht die Zeit mit seiner Gefährtin vertreibt, anstatt zu singen und der Käfig ist klein, weil auf dem Balkon kein Platz ist. In der Klanginstallation von Pilar Albarracín sieht man an einer weißgekalkten Wand verschiedene Käfige mit Vögelchen, die singen, was man auch hören kann. Wenn man sich nähert, erkennt man plötzlich, dass mit einem von ihnen etwas nicht stimmt. Mittendrin sitzt ein (ich nehme an) ausgestopfter Vogel im Flamencokleid regungslos auf seiner Stange. Der Bruch könnte nicht größer sein. Interpretationen sind natürlich dem Betrachter überlassen, aber die Arbeiten von Pilar lassen nicht unberührt und regen immer zu Diskussionen an.
Neben ihrer Arbeit als Performancekünstlerin arbeitet Pilar Albarracín auch für die Bühne, so wie vor einigen Jahren mit Andrés Marín in seinem Aufsehen erregenden Stück „La Pasión segun se mire“, das ja auch in Deutschland zu sehen war.
Meine absolute Lieblingsarbeit ist eine Fotografie mit dem Titel „Revolera“. Eine schöne, andalusische Frau, natürlich Pilar selbst, geschminkt und im Flamencokleid mit den unvermeidlichen Punkten liegt halb zugedeckt im Bett. Sie hat die Augen geschlossen und raucht einen Joint. Neben ihr sieht man den Kopf eines Stiers.
Was für eine wunderbare Arbeit! „Der Stier bin ich!“ war der Kommentar von Bobote, als er vor dem Bild stand. Was natürlich nicht stimmt, präzisiert Pilar, „Er ist nicht der Stier, aber er wäre es gern und das gibt dem ganzen schon eine ganz andere Bedeutung“. Der Torero ist seit jeher eine Figur, mit der sich viele Männer gerne identifizieren: Der Stier, die Kraft, der Macho, das Bild lädt dazu ein, sich vorzustellen, was denn da vorher passiert sein mag, obwohl ja wohlgemerkt nur der Kopf des Stiers zu sehen ist. Die Frau sieht jedenfalls vollkommen entspannt aus, so als hätte sie den Stier genau dorthin gebracht, wo sie ihn haben wollte.
Die männliche Figur des Toreros trägt jedoch Seidenstrümpfe und die Ankleidezeremonie erinnert an die Zeiten von Marie Antoinette, der Torero kann sich nämlich auch nicht alleine anziehen: Je öfter man das Bild betrachtet, umso eher erkennt man die doppelte Umkehrung der Rollen.
Nicht von ungefähr trägt das Foto auch den Namen einer Stierkampffigur: Die Revolera ist eine der kunstvollsten Figuren in einer Corrida, in der der Torero den Stier mit verschiedenen Bewegungen in die Richtung lenkt, die er möchte. Am Ende schwenkt er den Capote hinter seinen Rücken und dann über den Kopf des Stiers hinweg, was beim Publikum ein vielstimmiges ¡Olé! hervorruft. Pilar ist in diesem Fall natürlich die Torera und ihr gilt der Jubel über jede gelungene Figur.
In der großartigen Ausstellung beim Flamencofestival von Mont de Marsan mit dem Titel „Der geraubte Duende“ sah man einen kleinen Ausschnitt der Arbeiten dieser vielschichtigen Künstlerin, wir hoffen, dass man sie auch in Deutschland bald wieder sehen wird. Am 10. Juni eröffnete ihre aktuelle Ausstellung im MACBA Buenos Aires.
Über ihre Seite www.pilaralbarracin.com kann man sich für den Newsletter anmelden um Informationen über ihre aktuellsten Ausstellungen und Performances zu bekommen.