Anm.: dieser Text ist in der Feb/März-Ausgabe Nr. 106, 2013 des Flamencomagazins ANDA erschienen.
Auf der Suche nach seinen Wurzeln kam der Wiener durch Zufall nach Sevilla. Von Flamenco keine Spur. Jetzt ist er Repetior von Israel Galván und auf der Suche nach seiner eigenen Ausdrucksform.
Es ist kein Wunder, dass viele seiner Bewegungen denen von Israel Galván noch ähnlich sind. Wer sich, wie zum Beispiel für das Stück Lo Real/Le Réel/The Real von Galván, fast sechs Monate lang täglich mehrere Stunden intensiv mit jeder kleinsten Bewegung der TänzerInnen auseinandersetzen muss, jede Geste und jeden Schritt parat hat, der kann irgendwann nicht anders, als das auch in seinen Körper zu lassen. Marco de Ana ist seit Jahren Galváns Repetitor und enger Freund. Das prägt und bleibt kleben. Er ist sich dessen bewußt und hat eine Strategie, um noch Platz für seinen eigenen Tanz übrig zu lassen:
„ich versuche mittlerweile, die Bewegungen nicht mit meinem Körper zu lernen – ich kann dir das ganze Stück vorsingen, ich weiß, wann welcher Atemzug kommen soll, aber ich will es nicht tanzen“
„Ich habe keine so genannten Flamencogene in mir“
Natürlich kenne er das Gerede nach seinen eigenen Auftritten, dass er etwas tanze, was man womöglich schon bei wem anderen vorher gesehen hat. Wie etwa Sequenzen von Israel Galván oder Choreografien, die Rosario Toledo getanzt hat. Darauf angesprochen fragt Marco den Ana: „Darf ich Dinge, die ich für andere oder mit ihnen entwickelt habe, nicht auch selbst tanzen? Das ist doch absurd – da arbeite ich Monate lang und choreografiere und dann soll ich das nicht verwenden dürfen?“ Er finde, er dürfe. Und geht weiter: er verlange vom Publikum die Bereitschaft, sich auf ihn einzulassen und nicht gleich bei der ersten möglichen Ähnlichkeit die Aufmerksamkeit abzuziehen. Dabei sei ihm bewußt, dass er in manchen Dingen noch immer jenen ähnlich ist, mit denen er gerade zusammenarbeite. „Alles, was ich kann, kann ich von anderen, die mir das beigebracht haben“ erklärt Marco. „Ich komme aus keiner Tanztradition, habe keine `Flamencogene` in mir. Ich habe mit Anfang 20 begonnen, Flamenco zu lernen und das tue ich noch immer“.
Durch Zufall mit Anfang 20 nach Spanien
Mit Anfang 20 sitzt Marco de Ana im Wohnzimmer seiner Eltern, in einer kleinen Wohnung in Wien. Vor sich hat er eine Spanienkarte ausgebreitet und erklärt seinem Vater, wo er am nächsten Tag hinfahren würde: nach Andalusien. Das war Anfang der 1990er Jahre. Marco war auf der Suche nach seinen Wurzeln. Die Suche hätte ihn eigentlich nach Kroatien gebracht, wäre dort nicht Krieg gewesen. Das nächstgelegene Land (Italien) habe ihn nie sonderlich interessiert, deshalb fiel die Wahl auf Spanien. Mehr so zufällig. Am darauffolgenden Tag sitzt Marco im Zug von Wien nach Barcelona. Knapp 40 Stunden später schwingt er sich auf ein Motorrad und düst nach Sevilla – mit seinem Ersparten, das ihn über den Sommer bringen sollte. Vom Flamenco habe er bis dahin nicht viel mitbekommen, erinnert er sich. „Ich habe immer schon viel Musik gehört – alles mögliche. Da waren auch Camarón und Paco de Lucia dabei. Zwei unter vielen“. Und der Tanz? „In Wien habe ich hauptsächlich in Diskotheken geshaked, bißchen Ballett gelernt und einmal einen Sevillanas-Kurs besucht, der mich gelangweilt hat“, erzählt er. Aber nun ist Marco in Sevilla, da dauert es nicht lange, bis er mitten im Flamenco steckt. „Meine erste Begegnung mit Flamenco in Sevilla war während eines Spaziergangs. Aus einem Studio kam den Klang von Zapateados, da bin ich hineingegangen und habe gefragt, was das sei. Es war faszinierend!“, erinnert sich Marco. Sein erster Flamencokontakt war hergestellt – mit Jose Manuel Reina Gomez.
„Das war ein anderes Sevilla“
Nachdem seine Ersparnisse bald aufgebraucht waren jobbte Marco als Kellner, Malergehilfe, Bodenverleger, egal was, um in Sevilla bleiben zu können. Dadurch kam er auch öfters in das Studio von José Galván, der neue Böden brauchte und Marco anbot, ihn mit Flamencostunden zu bezahlen. Der Deal war gemacht und wann immer José Galván Zeit hatte, brachte er Marco Flamenco bei. „José hatte nicht sooft Zeit wie es mir lieb gewesen wäre“ erzählt Marco, „aber immerhin durfte ich bei allen Klassen zusehen, bis ich von José endlich genügend gelernt hatte, um teilnehmen zu dürfen“. Wenn er von der Zeit damals in Sevilla und im Studio erzählt, leuchten seine Augen. „Wir waren eigentlich Tag und Nacht als Gruppe zusammen – haben gelernt, getanzt und gefeiert. Das war ein anderes Sevilla“ schwärmt er. Jose Manuel Reina Gomez war auch mit von der Partie und vermittelte ihm seinen ersten „Flamencoauftritt“: als Backgroundtänzer der Copla-Sängerin Gracia Montes an der Costa de Malaga. Irgendwann kam dann für Marco auch der obligate Madrid-Aufenthalt, den in den 1990er Jahren jeder Tänzer aus Andalusien, der professionell arbeiten wollte, mal gemacht haben sollte. Auch das habe sich geändert, erklärt er: „Früher musst man nach Madrid fahren, um diesen Profi-Flamenco zu lernen; heutzutage ist das umgekehrt, da kommen die Madrileños nach Andalusien“. Von dort ging es nach Japan und danach ins Palacio Andaluz zu La Toná. Die Tablao-Zeit hatte für Marco begonnen und er tanzte in unzähligen Tablaos in Sevilla, Granada, Barcelona und wieder Japan. „Das hat mir gut gefallen – ich habe das genossen, diese so genannte „Gitano-Seele“ raushängen zu lassen, die auch ein Teil von mir ist“ gibt er zu.
Nach der Tablao-Zeit: die Suche nach dem Selbst
Mitte der 2000er Jahre, Marco war gerade von einem halben Jahr Tokio und einem Engagement in Barcelona nach Sevilla zurückgekehrt, wird ein Widerspruch in ihm laut, der sich zuvor schon immer wieder bemerkbar gemacht hat:
„ich hatte genug von diesem Teil der Persönlichkeit, den ich im Tablao so intensiv ausleben musste. Oder wollte. Plötzlich fühlte sich das fremd an und ich wollte mich anderen Seiten von mir widmen. Ich wollte im Studio sein und an meiner eigenen Ausdrucksform arbeiten“.
„Zum Glück bekam ich damals die Gelegenheit, für Israel und Pastora Galván als Repetitor zu arbeiten und Choreografien zu entwickeln“. Während es für die Arbeit im Tablao wichtig war, eher angepasst zu sein und einer Erwartung zu entsprechen, muss sich Marco de Ana nun ganz auf das Gegenteil einlassen: er selbst zu sein, unabhängig von Erwartungen. Er konzentriert sich darauf, viel außerhalb Spaniens aufzutreten um von dort wieder zurück nach Sevilla zu kommen. Er tritt oft in seiner Heimatstadt Wien auf und verbindet diese Aufenthalte mit intensiven Rechercheperioden. Hier zeigt er, neben vielen anderen Stücken, 2012 erstmals sein bisher persönlichstes Stück „Solo“, das er anschließend im Rahmen einer Residenz beim Impulstanz-Festival intensiviert. Die Residenz fällt mitten in die Probenzeit des neuen Stücks von Israel Galván, für das Marco wieder Repetitor ist. „Ich habe diese Pause dringend gebraucht“ sagt er. „Die zwei Wochen komplette Konzentration auf mich selbst und das Stück, in dem ich über das Dasein des Tänzers im Studio reflektiere, haben mir den Kopf wieder gerade gerichtet. ´Solo´ ist ohne Musik und ohne Lichteffekte. Nur der Tänzer im Proberaum“ erzählt er weiter. Und auch nach der Premiere von Galvans „Lo Real, le réel, the real“ im Dezember stürzt sich Marco de Ana ohne Pause direkt wieder in die Arbeit am neuen Stück „Paraíso“, denn: „nach so einem schweren Stoff von „Lo Real“ und monatelanger Arbeit für andere brauche ich wieder den Blick auf mich, die Zeit mit mir und mit gänzlich anderen Themen, nämlich Liebe und Zufall“.
Update 2016: was macht Marco de Ana?
Zum Beispiel:
Im Mai 2016 zeigte er bei den Burgenländischen Tanztagen (A) sein Stück in-sis-tencia, das er im Rahmen einer ausgedenhten Residenz für das Festival entwickelte
In Wien leitet er die „Choreographiewerkstatt Urbane Rituale“ – ein einjähriges Flamencoprojekt in Zusammenarbeit mit „im Raum Flamenco“ (Julia Petschinka) und der Peña Flamenca La Granaina
Im Juli 2016 wird er bei IMPULSTANZ „Flamenco-Body-Percussion“ unterrichten
Er unterrichtet regelmäßig in Sevilla, z.B im Estudio 35 von Chloé Brulé
Weitere Infos zu Marco de Ana:
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Foto: Rainhard Mayr, 2013