Und sie genießt es. Mercedes Ruiz ist eine Tänzerin, die die Tradition hochhält, sie jedoch nicht vor sich herträgt. Sie ist ihre Referenz aber nicht ihr Joch. In ihrem neuen Stück „Déjame que te baile“ sagt sie ganz genau, was sie will: Tanzen. Und das tat sie am letzten Wochenende im Tanzhaus nrw. Alegría, Seguiriya, Soleá, Martinete, Garrotín und Bulería, ein Streifzug durch das gängige Repertoire, aber keine Nummernrevue. Zu fließend die Übergänge, zu durchdacht die Cantes, zu ästhetisch ihre Bewegungen, ohne Hektik und manchmal sogar bewusst verlangsamt wie bei der wunderschönen Alegría mit weißer Bata de Cola, punktgenau ihre Remates, kurz und prägnant ihre Drehungen. Da ist nichts zuviel und nichts zuwenig. Mancher mag ihr fehlendes Temperament nachsagen, aber so ist sie eben.
Es gibt keine Überraschungen, aber das kann man in diesen aufregenden Zeiten ja auch positiv sehen.
Sie hat ihren eigenen Stil und sich dadurch einen Platz geschaffen, den ihr zur Zeit niemand streitig macht. Sie entwickelt sich weiter, geht ihren Weg und hat die Stars der Jerezaner Szene wie María del Mar Moreno hinter sich gelassen.
Sie berührt auch durch ihre Wahrhaftigkeit, da ist nichts künstlich, nichts aufgesetzt.
Ein Grund dafür mag auch die Auswahl ihrer Begleitmusiker sein. Ihr Mann und Komponist all ihrer Produktionen ist Santiago Lara, auch aus Jerez und doch kein typischer Vertreter des Toques der Sherrystadt. Er war schon immer ein wenig anders, auch anders als seine Brüder, der Gitarrist Paco und der Cantaor José Lara, sie waren seine ersten Lehrer, bis sie von Manolo Sanlucar abgelöst wurden, der als einer der ersten sein Talent erkannte. Aber auch sein Einfluss war begrenzt und mit seiner letzten Produktion hat sich Lara endgültig frei gemacht.
Sein „Tribute to Pat Metheny“ ist, wie er selbst sagt, keine Flamenco CD, sondern eine flamencoaffine Interpretation der Melodien des von ihm verehrten Jazzgitarristen.
In Düsseldorf verzauberte bereits der erste Ton, der erste Akkord aus seiner Gitarre das Publikum und nicht nur die Gitarristen darunter. Selten war ein Klang so kraftvoll, so klar und so persönlich. Selten die Kompositionen so eigenständig, so melodisch und vor allem so erdig. Sie lassen Luft zum Atmen zwischen den Noten. Da ist Ramón Montoya aber auch Morao, wunderbar.
Viele Jahre ist es her, dass wir die Stimme Cádizs, David Palomar, an der Seite von Mercedes gesehen haben, aber hier war er wieder und er bezauberte das Publikum wie nur er es kann.
Er hat das Soniquete, den Swing der Hafenstadt und außerdem ein schauspielerisches Talent, das bei den Flamencos ja nicht unbedingt die Regel ist. Sein Outfit ist lustig, Schuhe à la Michael Jackson, rotes Stecktuch à la Fred Astaire, die wilde Stirnlocke streng gegelt, seine Duos mit Mercedes improvisiert aber doch nicht, ein wirkliches Vergnügen. Wenn er die Bühne betritt, geht die Sonne auf, was übrigens dringend nötig war, denn – und das ist wirklich die einzige Kritik – das Licht war lamentabel, wenn überhaupt vorhanden. Das meiste spielte sich leider im Halbdunkel ab, die Gesichter lagen im Schatten und wenn der Lichtkegel Mercedes folgen sollte, dann war er meistens zu spät. Das sollte bei einer Produktion von so hohem Niveau eigentlich nicht passieren.
Zurück zu den Sängern. Der Jerezaner David Carpio aus der Dynastie der Carpios stellte einen interessanten Gegensatz zu David Palomar dar, dunkel, rau und muy gitano, aber auch sicher und kraftvoll, ein würdiger Vertreter des Cante de Jerez. Sehr schön war auch die Gegenüberstellung der Bulerías, eine aus Jerez, die andere aus Cádiz, interpretiert von zwei Sängern der heutigen Generation. Die beiden Palmeros aus Jerez waren großartig und Perico Navarro am Cajón einer der wenigen, der den Cajón so zurückhaltend spielt, wie es eigentlich gehört. Immer dabei aber nie im Vordergrund.
Zum Abschluss gab es wieder ein Fin de Fiesta mit ständigem Rollenwechsel, der Gitarrist spielte Cajón, der Palmero Gitarre und Palomar wagte ein Tänzchen. Das Publikum war begeistert und die Standing Ovation dauerte gefühlte 10 Minuten. Beeindruckend.
Am ersten Abend gab es eine Beinahe Katastrophe, als Santiago Lara hinter der Bühne stürzte. Die gute Nachricht: Er war nicht verletzt. Die schlechte Nachricht: Er zertrümmerte seine heilige Gitarre, die, mit der er den Giraldillo gewonnen hatte. In einer gemeinsamen Rettungsaktion wurde aus den Katakomben des Tanzhauses eine Gitarre hervorgezaubert, Originalton Santiago Lara: „Das ist keine Gitarre, das ist ein Möbelstück“ und die Tränen des Meisters getrocknet. Das Konzert wurde nicht unterbrochen, auch wenn Palomar seine Malagueña a palo seco singen musste, es ging weiter, großartige Musiker zeigten, was möglich ist.
Im demnächst erscheinenden Interview wird Santiago Lara den geneigten Lesern erzählen, was sein wirklicher Alptraum ist.