Manuel Liñán ist nicht nur Tänzer, er ist auch Regisseur und ein sehr gefragter Choreograf. Auch große Kompanien wie das spanische Nationalballett kommen immer wieder auf ihn zurück. Er arbeitet gerne für Tänzerinnen, eine seiner bekanntesten Choreografien stammt aus dem Stück „Mujeres“ mit Rocío Molina, Belén Maya und Merche Esmeralda. Er selbst ist ein Meister der Bata de Cola und des Mantóns. Letztes Jahr wurde er als bester männlicher Tänzer mit dem Premio Max der szenischen Künste und mit dem Preis der Kritik „Flamenco Hoy“ als bester Flamencotänzer ausgezeichnet.
In die Geschichte eingehen wird er jedoch mit seinem diesjährigen Auftritt beim Festival de Jerez. In seinem bemerkenswerten Pas de deux mit Belén Maya und allein in seinem Stück Nómada. Beide male mit Bata und Mantón schuf er ein eigenes Kunstwerk, das mit Worten schwer zu beschreiben ist. So viel Schönheit, Grazie und Charme muss man sehen, natürlich hat es schon Tänzer gegeben, die in die Bata geschlüpft sind, aber Manuel Liñán ist sicher der erste Mann, der seine Männlichkeit dabei noch mehr betont, man vergaß förmlich, dass Mantón und Bata eigentlich weibliche Accessoires sind. Mit seiner aufsehenerregenden Performance riss er die Besucher des Teatro Villamarta von den Stühlen und das mitten in der Aufführung von „Los invitados“.
Mit Manuel über Tanz zu sprechen wäre so wie mit Paco über die Gitarre, also führte Susanne Zellinger mit ihm das etwas andere Interview und rührte ihn zu Tränen, als er nach seiner Mutter gefragt wurde.
Ich hab mir gedacht wir machen ein Interview, das ein wenig anders ist und schauen, was daraus wird. Ich sag dir jeweils ein Wort und du sagst, was dir dazu einfällt.
Ich hab Angst….
Ach was, du sagst einfach, was dir dazu einfällt, nichts Kompliziertes. Das erste Wort ist:
Der Körper
Meine Sprache, meine Art mich auszudrücken. Alles, was um mich passiert, lege ich da hinein, meinen Schmerz und mein Lachen, der Körper ist meine ehrlichste Stimme, mein Werkzeug.
Die Verpflichtung
Ich fühle mich der Liebe verpflichtet, der Kunst und meiner Familie. Wenn du dich jemand verpflichtet fühlst dann bist du ihm treu, hältst sein Ansehen hoch und bist immer da, wenn er dich braucht. Du betrügst nicht.
Die Freundschaft
Etwas Wunderbares, mit Freunden teilst du deine Ängste und Freuden, deinen Schmerz und dein Lachen. Du versuchst da zu sein, wenn sie dich brauchen und sie sind für dich da.
Ist Belén Maya so eine Freundin für dich?
Als ich Belén kennenlernte, war da sofort eine ganz spezielle Chemie, sie war für mich ein Vorbild und eine Referenz. Dann hatte ich das Glück mit ihr arbeiten zu dürfen, sie ist für mich wie eine Schwester. Wenn wir miteinander tanzen sind wir eins, wir passen aufeinander auf und wissen in jedem Moment, was der andere fühlt.
Da war dieser wunderbare Caracoles mit der Bata de Cola, den ihr gemeinsam getanzt habt, fühlst du dich anders, wenn du mit der Bata tanzt?
Da benütze ich eine andere Tanzsprache, das ist klar. Aber die Bata ist wie ein Teil von mir, den ich in mir trage und den ich hervorhole, wenn ich Lust habe.
Würdest du auch einen Rock tragen?
Ich würde auch eine Federboa tragen, wenn ich das Bedürfnis danach verspüre. Wenn ein Rock notwendig wäre für die Geschichte, die ich erzählen möchte, würde ich ihn natürlich tragen.
Hatte die Bata gestern eine ästhetische Motivation?
Nein gar nicht, es war eine Notwendigkeit. Ich liebe den weiblichen Tanz, das war schon immer so. Ich habe einen starken weiblichen Teil in mir und der muss manchmal heraus. Ich habe schon öfter Tänze mit Bata choreografiert, so zum Beispiel im Stück „Mujeres“ oder für Rafaela Carrasco.
Setzt du dich damit manchmal der Kritik aus?
Das ist mir egal, das mache ich um es zu genießen, das ist in mir und natürlich halte ich manchmal inne und denke: “Was werden sie sagen?“, denn wir leben ja in einer Gesellschaft wo es passieren kann, dass sie dich als Schwulen bezeichnen nur weil du ein wenig anders gekleidet bist.
Da haben wir Frauen es ja leichter, wir können ohne weiteres Hosen tragen.
Das stimmt. Aber schon Mario Maya wollte immer, dass ich in der Bata tanze, und jetzt ist der Moment gekommen, in dem meiner weiblichen Seite ihren Platz zugestehen muss.
Die Musik
Die Musik ist so ein weites Feld und die Noten sprechen durch sich selbst. Ich liebe Musik, aber um ehrlich zu sein, ich höre fast immer Flamenco.
Aber wenn jemand eine andere Musik auswählt, stört es dich auch nicht, oder?
Gar nicht, ich arbeite ja auch oft mit Modern Dance Kompanien mit ganz anderer Musik und ich fühle mich genau so gut. Die Musik nimmt dich mit auf die Reise und natürlich verändert sie deine Bewegungen. Sie ist etwas sehr Konkretes, sehr bestimmend, sie schafft eine bestimmte Stimmung und eine Melodie kann dich in den Norden oder den tiefsten Süden führen.
Die Bipolarität
Was ist das denn?
Das hat Belén doch gestern gesagt, diese Hin und Her Gerissenheit zwischen Tradition und Avantgarde.
Für mich ist das ja etwas Positives. Ich glaube, da geht es uns heute allen gleich. Man kennt sein Territorium, aber du willst auch kennenlernen, was außerhalb deiner Grenzen liegt, du musst deine innere Unruhe befriedigen und wenn da etwas ist, dann holst du es dir. Ich bin so wie ich bin und ich identifiziere mich mit dem, was ich tue. Im Innersten bin ich sehr traditionell, aber die Tradition bietet auch viel Spielraum. Ich trage zwar die Bata, aber der Caracoles, den ich tanze ist sehr traditionell und wenn das bipolar ist, dann bin ich es eben.
Mauern
Die Ungerechtigkeit ist für mich eine Mauer. Und wenn du nicht als das akzeptiert wirst, was du bist. Da hatte ich es auch nicht ganz leicht. Als ich klein war, fühlte ich mich immer anders als die anderen, weil ich andere Sachen mochte. Sie wollten Fußball spielen und ich wollte tanzen. Ich fühlte mich immer ausgeschlossen, fehl am Platz, ich war seltsam. Aber warum eigentlich? Nur weil ich lieber tanze muss ich doch nicht gleich gay sein und wenn doch, was spielt das für eine Rolle? Aber so war es, die Jungen spielten Fußball und die Mädchen Volleyball und jeder, der sich außerhalb dieses Kanons bewegte, galt als seltsam. Das sind für mich Mauern und gerade wenn du klein bist, ist das ein Problem.
Wie hast du diese Mauern überwunden?
Keine Ahnung, aber dieser Zustand verwirrt dich, denn als Kind willst du ja normal sein wie alle anderen. Und ich sagte mir, na gut, dann spielst du eben auch Fußball, aber es fühlte sich falsch an und mein Körper reagierte darauf. Das war eine Mauer aus Zement, die es zu überwinden galt und das war nicht leicht.
Die Maske
Genau, ich trug eine Maske um normal wirken zu können, ich fühlte mich verkleidet und tat Dinge, die ich nicht wollte. Aber im Endeffekt merken die anderen, dass du nur Theater spielst und irgendwann musst du die Maske dann abnehmen. Im Flamenco fühle ich mich frei, als ob ich nackt wäre und ohne Ballast.
Die Mutter
Oh meine Mutter, sie ist für mich alles. Sie ist Sensibilität und Großmut, sie hat mich gelehrt zu verzeihen, keine Rachegefühle zu haben, zu lieben, die Familie zu schätzen und meine Geschwister zu lieben, bescheiden zu sein, ihr verdanke ich alle Werte. Sie hat mich immer unterstützt, als ich beschloss zu tanzen. Sie und meine beiden Schwestern haben mich in die Peñas gebracht, sie haben mir Eintrittskarten gekauft, damit ich andere Künstler sehen konnte und das war nicht einfach, denn ich komme aus bescheidenen Verhältnissen, ich hatte so ein Glück.
Das Licht
Ich sehe das Licht wie ein Tor in eine andere Welt. Vor kurzem ist mein Onkel gestorben und es fiel mir so schwer zu akzeptieren, dass er einfach nicht mehr da war und so habe ich mir vorgestellt, dass er an einem Ort mit ganz viel Licht ist. Ich hoffe, dass dieser Ort existiert und wir uns dort wiedersehen werden.
Welches Tor sollte sich für dich öffnen?
Das Tor zur Liebe. Für uns Künstler ist das gar nicht so einfach, wir mit unseren komischen Zeiten und Stimmungen. Und dann hätte ich gerne noch eine Türe, durch die ich sehen kann, ob es meiner Familie gut geht. Ich lebe ja in Madrid und meine Familie in Granada und da würde ich oft gerne durch diese Türe gehen um bei ihnen sein zu können.
Vielen Dank, Manuel und war es jetzt schlimm?
Nein, ganz im Gegenteil, es war schön und interessant.
Fotos: MarcosGpunto und Francisco Villalta