Leonor Leal ist die mit den kurzen Haaren. Geboren und aufgewachsen in Jerez de la Frontera hat sie als erste mit einer Tradition gebrochen: Sie ließ sich die Haare schneiden. Ihrem steilen Weg nach oben konnte das jedoch keinen Abbruch tun.
Sie tanzte in den besten Tanzkompanien und 2008 präsentierte sie ihr erstes Solostück „Leoleolé“, das von Publikum und Kritik begeistert aufgenommen wurde. Seither regnet es Anerkennungen und Preise, ihre Kollaborationen mit anderen Künstlern werden immer begeistert angenommen, wie zuletzt bei der Cellobiennale in Amsterdam.
Leonor,du kommst aus Jerez?
Ja, aber ich lebe nicht mehr dort. Ich bin vor 10 Jahren nach Sevilla gezogen.
Warum denn das?
Ich habe in Sevilla studiert und bin dann geblieben. In Sevilla war flamenco mäßig einfach mehr los. In Jerez war es schwierig Arbeit zu finden und in Zeiten der Krise ist die Lage sowieso katastrophal. Abgesehen vom Festival tut sich im Moment dort so gut wie gar nichts.
Und deine Familie?
Meine Familie hat mit dem Flamenco nichts zu tun. Meine Mutter kommt aus dem Norden und mein Vater ist Andalusier, obwohl, das ist eigentlich sehr widersprüchlich, denn meine Mutter ist es, die den Flamenco mag, während mein Vater ihn hasst. In der Familie habe ich jedenfalls nichts davon mitbekommen, in der Schule schon und in meinem Dorf natürlich auch.
Wie hast du angefangen?
Mit 9 Jahren hat mich meine Mutter beim Ballett angemeldet und das habe ich dann viele Jahre lang gemacht, Ballett und spanischen Tanz. Erst mit 18 habe ich begonnen, Flamenco zu tanzen, das war meine Entscheidung, nachdem ich erkannte, dass das Ballett sehr konkrete physische Voraussetzungen verlangte und die hast du oder du hast sie nicht. Davon hängt dann dein Erfolg ab, egal, wie sehr du dich anstrengst. Und nachdem mir das klar geworden war, entschloss ich mich zu einem Wechsel. Ziemlich spät also.
Das ist einer der Vorteile, den der Flamenco hat, oder?
Ja, klar. Du hast nicht diesen dauernden Stress, dass dein Körper so und nicht anders sein muss. Für mich war das am Beginn ganz schön hart, das war eine völlig andere Art des Ausdrucks, die ich da lernen musste und am Anfang war ich ziemlich verwirrt. Ich war mit 18 Jahren ja auch kein kleines Kind mehr, das alles in sich aufsaugt ohne es zu hinterfragen. Ein ziemlich radikaler Wechsel, der mir viel abverlangte. Andererseits hat es auch seine Vorteile, wenn man so spät anfängt. Du analysierst mehr, was du tust, du fragst nach dem wie und warum, du nimmst nicht alles einfach so hin. Das hilft mir jetzt natürlich beim Unterrichten.
Das tröstet uns jetzt aber, wo wir doch immer gedacht haben, wir könnten das nie aufholen, was jemand schon als Kind gelernt hat.
Natürlich hast du als Kind einen anderen Zugang und du hast mehr Zeit, die Technik zu entwickeln, aber ich glaube, dass es viele verschiedene Wege gibt um zum gleichen Ziel zu kommen. Man muss nicht den gleichen Weg wie alle anderen gehen. Im klassischen Ballett schon, weil dir dein Körper sonst nicht gehorcht, im Flamenco ist das anders, denke ich.
Du hast also mit 18 Jahren angefangen, aber wann hast du dann beschlossen, Flamencotänzerin zu werden?
Da gab es keinen Entschluss. Ich begann zu tanzen, nahm Unterricht, ich wollte auch gut sein und wenn ich etwas nicht verstand, ärgerte mich das sehr. Schon nach zwei oder drei Jahren lud man mich ein, in verschiedenen Kompanien zu tanzen und ich fühlte mich eigentlich noch gar nicht dazu bereit, das Niveau war sehr hoch. Aber ich hatte viel Energie und eine unglaubliche Lust zu tanzen und plötzlich stand ich dann auf der Bühne ohne viel darüber nachgedacht zu haben.
Damals hattest du noch lange Haare…
Ja.
Na los, erzähl doch mal.
Was denn?
Ja das mit den Haaren. Ich weiß noch, wie du sie abgeschnitten hast. Das gab ein ziemliches Aufsehen.
Das stimmt. Also gut: In der Zeit, als ich in den Tanzkompanien war, bei Antonio el Pipa, Andrés Marín, Javier Barón oder Cristina Hoyos, da gab es eine ästhetische Vorgabe, alle waren gleich und nicht dass mich das belastet hätte, aber jedes mal bevor ich auf die Bühne ging, musste ich mich kämmen und schminken und es war, als ob ich mich verkleiden müsste. Das war nicht: Los geht’s, jetzt bin ich ich selbst. Es war genau das Gegenteil: Ich musste mich verkleiden, ich deckte mich praktisch zu und als ich beschloss, mich zu verändern war es wie eine Befreiung. Ich mochte diesen Knoten einfach nicht und überlegte mir wie ich gerne aussehen würde, wenn ich nicht tanze, welche Kleidung mir gefiele und so weiter. Also schnitt ich mir die Haare ab und tanzte so. In dem Moment wusste ich nur, dass ich es tun musste, egal was passiert. Das war wirklich ein radikaler Schnitt.
Und deine Haare waren ja noch viel kürzer, als du sie jetzt trägst.
Oh ja, sie waren richtig kurz und am Anfang habe ich mich gar nicht wieder erkannt.
Hat sich auch dein Tanzstil dadurch verändert?
Ja, natürlich. Alles, was ich vorher gemacht hatte, passte nun auf einmal nicht mehr, ich musste auch meine Kleidung ändern und manche Bewegungen sahen komisch aus. Gar nicht zu reden von Mantoncillos und Volants, die mussten als erstes weg. Manchmal bin ich immer noch unsicher, aber ich fühle mich jetzt viel besser.
Hatte das auch mit dem weiblichen oder männlichen Teil in dir zu tun?
Nein, ich wollte mich einfach nicht mehr verkleiden müssen. Vielleicht tritt die Dualität mehr zu Tage, zwischen dem männlichen und dem weiblichen, aber der Flamenco ist ja beides: männlich und weiblich, fröhlich und traurig,… am Ende gewöhnst du dich daran und das Publikum auch und im Vergleich zu anderen Dingen, die im Flamenco heute möglich sind, erscheint es mir wie eine Kleinigkeit.
Und dennoch bist du die einzige Tänzerin mit kurzen Haaren.
Die Ästhetik ist im Flamenco superwichtig und die Leute haben eben dieses Bild, aber für mich hat sich das Bild jetzt fast umgekehrt und mir kommt das andere vor wie ein Cliché…
Düsseldorf 2012
Titelfoto Klaus Handner