Am Anfang war das Meer, am Ende eines Lebens war es auch. Am Ende des Lebens von Alfonsina Storni, der großen argentinischen Dichterin und in ihrem letzten Gedicht Voy a dormir legt sie sich schlafen, zieht sich zurück von der Welt, die so grausam sie im Stich ließ, als sie sie am meisten brauchte.

LA POETA handelt von ihr, der Geliebten, der Begabten, der Verzweifelten, der Frau. Die die Hoffnung aufgab und sich in den Schutz der Wellen flüchtete, die sie so sehr liebte.

Voy a dormir

Ich gehe schlafen, meine Schwester, bring mich zu Bett

Stell mir eine Lampe ans Kopfende

So, wie sie dir gefällt

Mir ist alles recht, dämme ein wenig ihr Licht

Mehr als am Leben der Alfonsina Storni orientiert sich der Abend aber fast an dem Gedicht Alfonsina y el mar von Felix Luna, vertont von Ariel Ramírez, interpretiert unter anderem in der Zamba argentina von Mercedes Sosa, der Stimme Lateinamerikas. Phrasen aus diesem wunderbaren Stück tauchen im Laufe des Abends immer wieder in den Kompositionen von Alfredo Lagos auf, kleine Versatzstücke, die sich einfügen wie winzige Fische, die im Wasser gleiten und nur für einen kurzen Moment auftauchen um dann gleich wieder zu verschwinden.

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Beginnen sollte Alfredo Lagos jedoch mit der Gavotte von Johann Sebastian Bach. Und da teilte sich schon das Meer. Was auch immer es ist, vielleicht ist es einfach Magie. Wenn er dann übergeht zu einer kleinen, schnellen Solea, wenn seine Finger über die Saiten seiner Gitarre gleiten wie die perlenden Wellen, die weißen und sprudelnd sich ergießen, dann erfüllt mich das mit einem tiefen Glücksgefühl, bei dem ich die Zeit anhalten möchte, es soll einfach ewig dauern. Alfredo Lagos ist ein Ausnahmegitarrist. Ein Meister.

Er ist die Alfonsina des Lichts, Belén Maya die der Schmerzen. Und wie schwer es ist, Schmerzen und Leid auszudrücken, ohne pathetisch zu sein wissen wir, und das ist sie in keinem Moment, was mir fehlt ist vielleicht die verborgene Zärtlichkeit der Alfonsina, ihr Zögern, ihr Hoffen.

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Einer der eindrucksvollsten Momente ist jener in dem Andrej Vujicic, hervorragender Perkussionist, die Boleadoras schwingt, das Werkzeug der argentinischen Gauchos, an langen Schnüren. Mit dem Rücken zu Belén sitzt er auf der Bühne, ungerührt von ihrer Verzweiflung, hart, stoisch, die Welt der starken Männer gegen die emotionale der Frau. Belén ist gebunden, verbunden, entbunden schon der Welt, die sie bald verlassen wird.

In ihrer Interpretation findet sich vielleicht auch ein Teil ihrer eigenen Geschichte, aber das ist jetzt nur eine Vermutung. Belén Maya beeindruckt mich immer. Auch wenn ich sie nicht sehe sondern nur spüre. Das sind besondere Momente, Geschenke, vergänglich aber bleibend.

LA POETA hat Schwächen, wie die Rezitationen aus dem Off, die unverständlich sind, und wobei ich mich frage, ob sie so unwichtig sind und wenn das so ist, warum sie dann überhaupt da sind. Da wäre es doch interessanter nur einen Satz zu wiederholen, wie Belén das mit einer Bewegung à la Pina Bausch tut.

Aber alles in allem ein besonderer Abend, wie immer, wenn sich drei erstklassige Künstler zusammentun und der Fantasie und ihrem Können vertrauen. Schauen Sie sich LA POETA an, wenn Sie dazu Gelegenheit haben. Es lohnt sich.

LA POETA

17.10.2024

Centro Cultural Pastora Soler

Coria del Río

Text: Susanne Zellinger

Fotos: Susi González