„Das bin ich, alles ist in Ordnung.“

Es herrscht Kaiserwetter an diesem Samstag in Neumarkt im Mühlkreis. Auf der Reitanlage Stroblmair hat sich hoher Besuch eingefunden: Juan Rubio Martinez, Chefbereiter und Ausbildner der Real Escuela Andaluza de Arte Ecuestre – der Königlichen Hofreitschule in Jerez de la Frontera – gibt einen seiner seltenen Kurse. Auf der gepflegten Anlage herrscht eine sommerliche Schläfrigkeit. Nur in der oberen Ecke des frisch abgezogenen Vierecks drängen sich die Zuseher im Schatten. Der Meister, Juan, verfolgt aufmerksam jede Bewegung seines Schülerpaars. In einer Mischung aus Englisch, Spanisch und Deutsch gibt er ruhige Anweisungen. Dazwischen immer wieder viel Lob: „Well done!“ Es macht Freude dem Trio aus Trainer, Reiterin und Pferd zuzusehen.

Juan Rubio Martinez wurde in einem Dorf in der Nähe von Sevilla geboren und ging 1983 als Schüler an die Hofreitschule in Jerez. Die ersten acht Jahre musste er neben dem Reiten auch als Stallbursche arbeiten. Dann endlich wurde eine Stelle als Bereiter frei. Seit dem Tag trainiert er junge Pferde, nimmt an den Shows teil und unterrichtet Schülerinnen und Schüler aus allen Teilen der Welt.

Welche sind die wichtigsten Elemente deines Unterrichts? Worauf legst du deinen Fokus?

Ich konzentriere mich darauf das zu finden, was das Pferd braucht. Ein wenig seine Psychologie studieren.

Das heißt, das ist sehr individuell …

Ja, der Reiter – das Pferd, das ist wie ein Ehepaar. Wenn es kein Einverständnis gibt, dann kann die Sache zwar funktionieren, aber vielleicht ein wenig erzwungen. Meine Philosophie ist es, über die Disziplin, aber mit Vertrauen zu erreichen, dass das Pferd dir sein Bestes gibt. Das erreicht man nicht, indem man dem Pferd jeden Tag viele Küsse gibt, aber auch nicht, indem man es schlägt. Weder das eine, noch das andere. Man muss das Gleichgewicht finden. Ich begegne einem Pferd, das Angst hat. Das erste was ich mache, ist, sein Vertrauen zu gewinnen. Wenn das Pferd mir vertraut, dann beginne ich den Prozess der Erziehung, oder der Umerziehung, für den Fall, dass das Pferd falsch erzogen wurde. Ich versuche, das Pferd dazu zu bringen, alles zu geben, für seinen Reiter und für die Bewegung, für den Ausdruck.

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Zu einer der Reiterinnen hast du gesagt, dass du dich erst dem Pferd vorstellen musst …

Das erste was ich mache, wenn ich mich auf ein Pferd setze, ist, mich hineinzufühlen. Ich setze mich aufs Pferd, nehme die Zügel auf, meine Beine sind entspannt. Über die Zügel spüre ich den Grad der Anspannung des Pferdes im Hals und im Maul. Ich bin ganz ruhig und warte auf die Reaktion des Pferdes. Ich stelle mich dem Pferd vor: Das bin ich, alles ist in Ordnung. Wenn das Pferd beginnt sich zu entspannen, gebe ich ihm die Zügel hin. Das ist der Ausgangspunkt. Warum? Weil, wenn ich mich auf ein Pferd setze, das ich nicht kenne, fange ich nicht sofort mit Lektionen an. Ich schau mir zuerst an, wie die Umstände sind. Über die Zügel und über die Schenkel analysiere ich, wie die Reaktion ist. Ist die Reaktion sehr stark, oder gibt es kaum eine Reaktion? Wenn es keine Reaktion gibt, wirke ich stärker ein. Gibt mir das Pferd etwas, lasse ich es in Ruhe. Aber ich habe dem Pferd schon gesagt: Ich bin hier. Dann beginne ich zu arbeiten – mehr Bein, weniger Bein, mehr Zügel, weniger Zügel, bis das Pferd versteht, dass es nicht gegen mich kämpfen kann, weil ich aushalte, ich kontrolliere, ich entspanne, ich helfe ihm aber auch. Wenn es protestiert, Ruhe, Klärung, und wir entspannen uns.

Eines der wichtigsten Dinge in der Reiterei ist: Kontrolle, etwas verlangen, Ruhe. Und in diesem Zirkel lernen sie. Aber natürlich: Zuerst muss der Reiter sich selbst kontrollieren. Wenn ich will, dass du mir vertraust, kann ich nicht die ganze Zeit etwas machen, was du nicht magst. Dann wirst du sagen, Juan, ich will nicht dein Freund sein.

Disziplin ist wichtig, die Lektion ist wichtig. Aber danach muss es eine Pause geben. Diese Pause nimmt das Pferd als Belohnung wahr. Diese Belohnung sorgt dafür, dass das Pferd die Lektion positiv in seinem Kopf abspeichert.

Das ist es, was du machst, wenn du dem Pferd die Zügel hingibst. Mir ist aufgefallen, dass du das häufig machst …

Richtig. Sobald das Pferd etwas richtig macht, die kleinste Reaktion, belohne ich es. Manchmal gebe ich ihm die Zügel ganz hin, manchmal gebe ich nur ein wenig mit den Fingern nach, und sie merken es. Auf diesem Weg wachsen wir, kontrollieren wir immer besser, erlangen wir Vertrauen, Bewegung. Und vor allem: Du hast einen Freund, der mit dir kollaboriert! Und nicht einen Feind, der gegen dich arbeitet.

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Du hast mir erzählt, dass ihr in der Schule mit der Piaffe beginnt, wenn die Pferde noch sehr jung sind. Warum?

Ganz einfach, weil das eine Übung ist, die wir brauchen für die Shows, die aber auch dem Pferd helfen kann, sein Gleichgewicht zu finden, für die Beweglichkeit und damit das Pferd aufmerksam ist und die Hilfen des Reiters respektiert. Was wir nicht machen können, ist, ein vierjähriges Pferd nehmen und verlangen, dass es in einem Monat piaffieren kann. Das ist der Fehler. Oder in einem Monat einen fliegenden Galoppwechsel kann. Das ist der Fehler. Ich habe ein Pferd, das sich reiten lässt, schon an die Hilfen gewöhnt ist, und dann vor der eigentlichen Arbeit, an der Hand stimuliere ich es und suche eine Reaktion. Das Resultat muss keine Piaffe sein. Ein paar Schritte – fertig.

Es geht um die Idee …

Genau. Wann bekommen wir eine Piaffe? Das hängt ab vom Pferd aber auch vom Reiter, von seiner Fähigkeit sich dem Pferd zu vermitteln. Manche Pferde können nach vier, fünf Monaten piaffieren, andere brauchen ein Jahr, andere zwei Jahre. Es ist wie bei den Menschen: Ich bin nicht gut in Mathematik, also zwing mich nicht dazu, denn zum Schluss werde ich Mathematik hassen! Versuch ein guter Lehrer zu sein! Vermittle mir zuerst, dass 2 plus 2 4 sind, aber verlang nicht von mir, dass ich gleich eine Wurzel ziehe! Motiviere mich! Und vielleicht, zwei Jahre später, habe ich Gefallen gefunden an der Mathematik.

Ich sage immer: Wenn wir eine Klasse haben mit 20 Schülern und einen Lehrer. Wer ist der bessere Lehrer: Der, bei dem es 3 Sehr Gut gibt und der Rest fällt durch? Oder der, bei dem alle durchkommen mit einem Gut oder einem Befriedigend? Ich sage, der, bei dem alle durchkommen. Ich habe nichts von einem Lehrer, bei dem alle durchfallen und drei haben ein Sehr Gut. Denn diese drei sind brillante Schüler, die vielleicht gar keinen Lehrer brauchen. Mit den Pferden ist es dasselbe. Der gute Reiter ist meiner Ansicht nach derjenige, der alle Pferde gleichermaßen ausbilden kann, dass sie zwar nicht herausragend sein müssen, aber trotzdem als gute Reitpferde funktionieren. Es gibt ein Sprichwort, das unter den Reitern viel benützt wird: „El jinete monta lo que le sirve, al artista le sirve lo que monta“…

Du liebst deine Arbeit immer noch …

Ich kann dir sagen, an den Tagen an denen ich nicht reite, fehlt mir etwas. Es ist keine Obsession, denn wenn ich mit meiner Familie auf Urlaub fahre, gibt es keine Pferde. Lustigerweise, wenn es darum geht meine eigenen Pferde zu reiten – nachdem ich den ganzen Vormittag in der Schule geritten bin! – wenn ich keine Zeit für meine eigenen Pferde hatte, bin ich nicht zufrieden. Ja, meine Arbeit erfüllt mich immer noch mit Leidenschaft. Natürlich, die Erfahrung gibt dir die Fähigkeit Lösungen zu finden. Als ich noch jünger war und nach Hause kam, sagte meine Frau zu mir: „Heute war irgendwas, heute hat es nicht geklappt mit den Pferden.“ Sie merkte das einfach. Sogar schlaflose Nächte hatte ich! An ein Problem denkend! Ich habe auf den nächsten Tag gewartet, um mich wieder aufs Pferd zu setzen. Aber nicht um zu kämpfen! Sondern um herauszufinden, wo ich mich geirrt habe. Denn es sind immer wir, die sich irren. Was habe ich falsch gemacht? Um den Fehler nicht noch einmal zu machen. Man sagt, der Mensch ist das einzige Tier, das zweimal über denselben Stein stolpert. Der Fehler ist gut, weil er dich dazu bringt, Lösungen zu finden.

Fotos: Andreas Rammel