Reflexionen eines Kritikers
Manchmal stelle ich mir beim Anhören einer neuen Flamenco-Gitarren-CD folgende Frage: Wie muss ein Flamencogitarrist seine CD „basteln“, sein Material erstellen, damit die Neuerscheinung in Kennerkreisen und unter Kolleginnen/Kollegen Anerkennung findet. Wie harmonisch schräg müssen die einzelnen Stile klingen, damit der Künstler nicht als „out of time“ abgekanzelt wird, wie sehr muss an den einzelnen Stücken „Bodenhaftung kleben“, damit der Gitarrist als „muy flamenco“ bezeichnet wird? Wie viel Gesang, am besten von renommierten „invitados“ benötigt es, um die persönliche Stellung in der Flamencoszene darzustellen, wie soll das Verhältnis von Percussion und Palmas aussehen, braucht es, heute innerhalb des Flamenco neuartige Instrumente wie die Harmonika (sie erlebt zum Beispiel, vor allem mit Antonio Serrano, momentan einen steilen Aufstieg)? Wie sehr also „mainstream“, wie sehr gegen den „mainstream“, wie sehr eventuell über den „mainstream“ hinaus, um vielleicht sogar „trendsetter“ Qualitäten zu beweisen?
Bei diesen Überlegungen beschleicht mich ein etwas fahles Gefühl, wohl wissend, dass zur Popmusik diese kühlen Kalkulationen dazugehören wie die Butter auf das Brot. Aber ist Flamencomusik nicht intimer, persönlicher, schon allein aufgrund ihrer Nischenposition?
Paco Peña, eigentlich ein hervorragender Flamencogitarrist, haftete dieser Beigeschmack des Antiquierten an, die erste CD von Vicente Amigo, De mi Corazón al Aire, schlug ein wie eine Bombe, um nur zwei Beispiele der Kategorisierung zu nennen, was sind also die Kriterien?
Warum diese Vorüberlegungen gerade bei Juan Requena und seiner Debüt-Solo-CD Arroyo de la Miel? Reiner Zufall, sie könnten genauso gut bei der Besprechung jeder anderen Neuerscheinung stehen! Gedanken brauen sich zusammen und suchen sich irgendwann einen Platz!
Vom gefragten Begleiter zum Sologitarristen
Natürlich entsteht eine CD anders. Material und Stil eines Gitarristen entwickeln sich im Laufe seiner Tätigkeit, vor allem auch durch seine Arbeit als Begleitgitarrist. Und hier ist Requena ein gefragter Künstler, arbeitet mit Sängern wie Duquende, José Valencia und Pedro el Granaino zusammen, die letzten beiden sind auch auf der CD vertreten. Irgendwann fließt dann dieser, in Jahren erarbeitete, eigene Stil in eine Solo-CD ein. Aber natürlich ist diese Entwicklung ebenfalls von Modeerscheinungen geprägt.
Die CD gefällt mir, um auf den Punkt zu kommen, sehr gut, und obwohl Juan Requena aus Málaga stammt, ist die erste Nummer, eine Bulería, in ihrer spartanischen Gestaltung und ihren vielen einstimmigen, oft eben harmonisch schrägen Falsetas für mich mehr charakteristisch für den „Estilo de Jerez“. Die letzte Nummer, ebenfalls eine Bulería, macht sich die rhythmische Verwandtschaft von Siguiríya und Bulería zunutze und kippt, spätestens mit Einsetzen des Gesangs, vom anfänglichen Rhythmus der Siguiríya vollständig in die Bulería hinüber, kein Novum, aber reizvoll arrangiert und natürlich nur für Eingeweihte wahrnehmbar. Dass für Juan das „Ausloten origineller harmonischer Fortschreitungen“ eine Herzensangelegenheit ist -und vielleicht sind aus diesem Grund meine Vorüberlegungen an dieser Stelle doch nicht reinster Zufall- äußert sich allein an der Auswahl dreier rhythmisch freier Stile, die immer ein hervorragendes harmonisches Experimentierfeld darstellen: einer Taranta, einer Granaína und einer Rondeña. Was mir an ihnen, neben den schönen Tremolopassagen, besonders auffällt und auch gut gefällt: das Spiel mit kurzen melodischen Floskeln, die, mehr als üblich, von Stille und von kunstvoll gesetzten Pausen umgeben sind.
Eine CD zum Wieder und Wiederhören
Alegrías mit harmonisch schrägen aber schönen Falsetas, mit Gesang aber auch dichten, kraftvollen Compás-Grundmustern ergänzt, Tangos unter Einbeziehung einer Geige und eine Columbiana, eben mit der oben angeführten Harmonika von Antonio Serrano, deren Columbiana-Akzentuierungen sich stark hinter einem jazzig-karibischen Rumba-Feeling verstecken, vervollständigen das gut gestaltete Programm. Nicht zu vergessen, eine wirklich schöne Soleá. Auch ich muss mir diese CD noch ein paar Male anhören!
Erhältlich bei www.deflamenco.com Ref: 5697 EAN/ISBN: 8429085263070
Foto: Marta Vila Aguila