Juan Antonio Suárez „Canito“ im Interview: Ich bin ein sehr freier Mensch

Er ist zweifellos einer der interessantesten Musiker im aktuellen Flamenco. Er gehört zu einer Gitano Dynastie von Künstlern, die in der Extremadura ihre Wurzeln hat. In seiner Familie finden wir alle möglichen Künstler: Sänger, Tänzer, Pianisten und den Dramatiker Francisco Suárez.

Cano ist gebürtiger Katalane debütierte in den 90er Jahren im Palau de la Música, wo er für Flora Albaicín spielte, und im Tablao de Carmen. Sein unverwechselbarer Stil, sein kraftvolles Spiel und seine eigenwilligen Kompositionen machen ihn zu einem begehrten Begleiter von Künstlerinnen wie Ana Morales, Concha Jareño oder Rocío Márquez, mit der er gerade eine CD aufgenommen hat. Am 11. Mai tritt er mit Rafaela Carrasco beim Dinamiko Festival in Gelsenkirchen auf.

Wie geht es dir, Cano?

Mir geht es wirklich sehr gut, die Sonne scheint und dieses Gleichgewicht hier zwischen Sonne und Schatten, das Gleichgewicht ist sehr wichtig im Leben, denn sonst….

Du willst also wirklich gleich mit philosophischen Themen beginnen?

Nein, wir können beginnen womit du möchtest…

Dann erzähl doch ein wenig von dir, hattest du nicht eine Tante, die Gitarre spielte?

Früher gab es sowieso viel mehr Gitarristinnen als heute, und meine Tante Adela spielte sehr gut Gitarre. Sie wiederum hatte alles von einer Gitana gelernt, die sie „La Tijera“ nannten, eigentlich waren es zwei Schwestern, die spielten, aber besonders eine der beiden war sehr gut, sie war sehr speziell, mit blauen Augen und hatte diesen Flair der Extremadura, auch diesen besonderen Stil. In der Extremadura spielen sie vor allem Jaleos und natürlich die Tangos extremeños. Und wenn die beiden Schwestern auf Hochzeiten oder anderen Festen spielten, soll es richtig abgegangen sein. Ich habe sie leider nie live gehört , nur auf einer Kassette und da war sie schon 90 Jahre alt, ich kann mir also vorstellen, wie sie gespielt haben muss, als sie jung war.

Meine Tante Adela hörte ihr immer zu, dann ging sie nachhause und spielte aus dem Gedächtnis die Sachen nach, damals gab es ja noch keine Aufnahmegeräte. Adela ist die Mutter von Pablo Suárez, dem Pianisten, leider ist sie vor einigen Jahren gestorben, aber von ihr habe ich am Beginn alles gelernt, vor allem „El punteao de La Tijera“, aber auch diesen treibenden Rhythmus, diese Akzente und diese ganz spezielle Form zu spielen.

Dani Suárez, der Perkussionist von gestern ist doch auch dein Primo, oder?

Naja, wenn man es genau nimmt, ist er mein Onkel, sein Vater ist ein Cousin meines Großvaters.

Habt ihr euch als Kinder oft gesehen?

Ja, aber eigentlich erst, als ich sechs war, sie kamen von Badajoz nach Madrid und ich von Barcelona, ab da haben wir 13 Jahre gemeinsam gelebt.

Eine richtige Flamencofamilie also?

Total, in meiner Familie haben alle getanzt oder gesungen, nicht professionell, außer einem meiner Onkel, der ein sehr guter Sänger war, die anderen waren alle Aficionados aber ja, der Flamenco war immer präsent.

Wann hast du ernsthaft begonnen zu spielen?

Mit 19 Jahren im Tablao de Carmen in Barcelona. Aber ich spielte auch schon vorher mit Enrique Burgos in seiner Academia und mit Flora Albaicín, bei ihr lernte ich Tanzbegleitung.

Du hast ja lange ausschließlich begleitet…

Ja, Solist war ich erst viel später. Aber der Beginn lag im Jahr 92, als wie zufällig alle im Tablao de Carmen waren, Belén Maya, Rafael Jiménez Falo, Jesús Torres, Torombo und viele andere. Das war das Jahr der olympischen Spiele und wir waren fast immer dort, weil wir mehrere Pases spielten und eines Tages überfielen sie mich mit der Idee des Solos, sie waren sich alle einig, außer mir, ich hatte viel zu viel Respekt davor, aber sie waren so hartnäckig, dass ich schließlich nachgab. Es war super und irgendwo setzte sich dieses Körnchen in mir fest und obwohl ich mein erstes Solokonzert erst viele Jahre später gab, lag der Anfang in dieser Zeit.

Was macht deine Stücke so anders? Ich denke da an die Petenera von gestern…

Jeder Palo hat ja seine bestimmten Regeln, da kommt die Letra, dann die Falseta, das ist die traditionelle Form, für mich bestimmt den Flamenco aber nicht der Palo sondern die Person. Ich bin ein sehr freier Mensch. Ich fühle mich frei. Bekannterweise ist es nicht einfach in der Welt, in der wir leben, Freiheit zu erlangen, es gibt viele Mauern, viele Grenzen, aber in der Musik habe ich die Möglichkeit, Mauern zu durchbrechen.

Ich habe die Basis und die Tradition schon als Kind gelernt, ich weiß, wie das funktioniert und wie weit das führen kann, aber das Ziel der Musik ist immer gleich: Ausdruck, Kommunikation, Beweglichkeit und, für den Musiker essentiell, den Zuhörer zu erreichen, eine Botschaft zu überbringen, ein Gefühl. Das ist das Ziel jeder Musik.

Ich nehme also eine Petenera oder ein anderes Musikstück und versuche nicht sie in eine bestimmte Form zu pressen, mir durch keine Grenze bestimmen zu lassen, was ich tun soll, weil ich meine eigene Art und Weise habe, ein Stück anzugehen, es zu verstehen, es zu lieben und es zu umarmen. Ich höre auf mein Gefühl und auf das der Person, die mich mit diesem Stück beauftragt hat. Und dann gehe ich ein wenig über den Palo selbst und seine Regeln hinaus. Das ist sehr gut um ihn besser kennen und fühlen zu können.

Wie bist du dahin gekommen?

Es war mir bewusst, dass es so viele große Künstler gab, ohne mich mit ihnen vergleichen zu wollen, wie Lole y Manuel, Camarón, Paco de Lucía, die ihre Wurzeln in der Tradition hatten, ihre Äste und Zweige aber gingen in eine völlig andere Richtung. Das Leben ist wie ein Baum. Und die Musik ist vielleicht die einzige Sprache, die ohne Worte auskommt und keine Grenzen hat, sie verständigt sich auf eine andere Weise. Ich glaube auch, dass die Welt in Wirklichkeit ganz anders ist, als sie uns glauben machten, so nach und nach habe ich gelernt, die Welt mit anderen Augen zu sehen und in der Musik passierte mir das gleiche.

Warum hast du deinen Lebensmittelpunkt nach Andalusien verlegt?

Nach 8 Jahren in Madrid habe ich es nicht mehr ertragen und bin nach La Algaba gezogen, ein kleines, ländliches Dorf in der Nähe von Sevilla, da ist mein Studio und in meinem Garten blühen vier riesige Bougainvilleas, da habe ich meine Ruhe, ich komponiere und lebe da.

Ihr Gitarristen seid ja ohnehin eher introvertiert und schüchtern, auch auf der Bühne..

Na ja, wir sind auch nicht so exponiert. Wenn ich im Leben eher schüchtern bin, aber auch das immer weniger, so bin ich es auf der Bühne eigentlich nicht. Die Bühne ist wie eine Fantasiewelt, in der du machen kannst, was du willst, immer innerhalb deiner Möglichkeiten natürlich. Niemand hält dich zurück oder schränkt dich ein, und im „Sin Permiso“ von Ana Morales spiele ich eine Rolle wie in einem Film, das ist sehr schön.

In den letzten Jahren warst du nicht so sichtbar, aber jetzt lebst du einen brillanten Moment deiner Karriere, wie kommt das?

Das kommt von den vielen Dingen, die ich im Laufe meiner Karriere gemacht habe, die stehen jetzt plötzlich im Rampenlicht, obwohl ich schon früher ähnliche Dinge gemacht habe wie mit Concha Jareño in „Algo“ oder mit „Flamenco Universal“. Ich war immer schon überzeugt, dass die Gitarre viel zu wenig ausgenützt wurde in ihren Möglichkeiten. Ich wollte die Gitarre vom Stuhl loslösen also spielte ich im Stehen. Ich bewegte mich und in „Flamenco Universal“ tanzte ich sogar. Damit will ich dir nur sagen, dass viele der Dinge, die an mir heute besonders wirken, schon vor langer Zeit angelegt wurden, auch wenn sie erst heute wirklich auffallen.

Mit wem hättest du gerne gespielt?

Hmm, eigentlich war es nie so, dass ich dachte, mit dem oder der hätte ich gerne gespielt, so als unerfüllte Sehnsucht, natürlich hätte ich gerne Camarón begleitet, klar, aber lieber hätte ich ihn erkannt, gefühlt, ich bin nicht so, dass ich auf die Bühne gehe und sage, „Por Soleá, venga..“, so empfinde ich den Flamenco einfach nicht, ich möchte weiter gehen. Ich will ihnen einen Maßanzug schneidern, ein Haus, das zu ihnen passt, ich will etwas einbringen. Um traditionell zu begleiten, da gibt es so viele hervorragende Gitarristen, die das besser können als ich. Wenn ich für jemanden spiele möchte ich in seine Welt eindringen und mein Spiel an ihn anpassen.

©Javier Fergo para Festival de Jerez

In deinem Spiel hört man auch die Einflüsse vieler anderer Genres, was gefällt dir denn da?

Ich liebe klassische Musik, vor allem die impressionistische, auch moderne Musik, wenn sie nicht zu schräg ist, denn davon verstehe ich zu wenig. Ich liebe amerikanische Musik, weiße wie schwarze, ich mag Frank Sinatra mit Orchester und die Musik der Schwarzen kann ich fühlen, erleben, sie erinnert mich total an meine Musik, sie spielen auch damit, sie haben etwas, das auch die Gitanos haben: sie werden so groß, wenn sie singen, sie haben Spaß dabei, und dann mag ich auch sehr die keltische Musik, die gallizische, die schottische oder auch die Musik aus Finnland….

Hab ich da nicht vor kurzem ein Video von dir gesehen mit finnischen Musikern?

Ja, das war wahrscheinlich „Kill Carmen“, eine finnische Version der Carmen von Bizet, aber sehr inspiriert vom Kino und vom Theater, Ronnie, der musikalische Leiter hat da eine unglaubliche Mischung aus Flamenco, finnischer Musik und Musik aus dem Balkan gemacht, ein unglaublicher Cocktail, fast wie ein Musical, aber großartig. Da war Victor Carrasco dabei, Pablo Suárez, Carlos Chamorro, ich und die Finnen natürlich.

Was sagst du zu deinem Erlebnis hier im Tanzhaus, wenn wir schon beim Norden sind?

Ich fand es großartig, auch das Publikum, das an den beiden Abenden total verschieden war, besonders am zweiten, da gab es kaum Zwischenapplaus, aber an der Ovation am Ende sah man dann, dass sie begeistert waren.

Wir sehen uns dann im Oktober wieder hier, oder?

Auf jeden Fall, sehr gern.

Fotos von Niklas Baumberger, Albrecht Korff und Javier Fergo.

Tickets für das Konzert in Gelsenkirchen gibt es hier.