Nach einer 10tägigen Residenz im tanzhaus nrw fand am 9. Oktober die Premiere von José Manuel Álvarez neuem Stück vor , zumindest am zweiten Abend, ausverkauftem Haus statt. Damit verabschiedete sich auch Dorothee Schackow endgültig vom Tanzhaus und ihre Karriere fand damit einen krönenden Abschluss. Die Fans hatten schon lange auf ein Solo von José Manuel gewartet, spätestens seit seinem umjubelten Paso a dos mit Ana Morales in „Sin Permiso“ und der Erfolg gab ihm recht.
José Manuel Álvarez spielt mit den Bewegungen, er kündigt die nächste Bewegung nicht an, sein Tanz geschieht wie von selbst, eines folgt auf das andere und immer wieder durchbricht er die Starrheit der vertikalen Linien durch eine sanfte Kurve.
Seine Bewegungen sind ganz seine eigenen, sie sind nicht geliehen auch nicht kopiert und er widersteht der Versuchung, Bewegungen, die ihm gefallen, zu wiederholen, außer mit Absicht, als dramaturgisches Element.
Auch fehlt ihm jegliche Eckigkeit und dieses scharfe Schneiden, seine Armbewegungen, die von ganz oben kommen, durchtrennen nicht wie ein scharfes Messer ein Blatt Papier, sondern wie ein unsichtbares Schwert eine imaginäre Wolke.
Er hat eine unglaubliche Leichtigkeit und mit diesen kleinen Sprüngen, die nur klein gedacht sind und ihn dann aber in die Mitte der Bühne fliegen lassen, überrascht er, denn sie lassen eine weiche Landung erwarten, die dann auch passiert, aber sie hat dennoch Kraft und Gewicht.
Er tanzt im Hier und Jetzt, er ist ganz er selbst. Er lässt seine Vergangenheit hinter sich, er erweckt auch keine Erwartungen an die Zukunft. Er will keiner bestimmten Richtung angehören.
Er stellt keine Fragen und gibt keine Antworten, aber er lässt sich auch nicht auf die Möglichkeit des Scheiterns ein, und auch wenn sein Körper verletzlich scheint, spürt man dahinter die Kraft.
Eine berühmte Prima Ballerina fragte einmal den renommierten Choreografen John Neumeier: „Are you not tired of watching me dance?“ und er antwortete: „No, because it’s always different.“ – Nun, genauso geht es mir mit José Manuel Álvarez.
In „Cruces“ tanzt er zwar allein, aber die Musiker, die ihn begleiten, sind hervorragend: der Argentinier Lucas Balbo mit seiner verspielten, variantenreichen Perkussion, die immer präsent ist, aber sich nie in den Vordergrund drängt, beweist auch schauspielerisches Talent, er ist ein wenig der „Niño travieso“ der Kompanie.
Der Gitarrist José Lamarcha kommt aus Tomelloso, wie auch Félix Grande, begeisterte schon beim letzten Festival de Jerez, weil er, der ja auch für die Komposition verantwortlich ist, hier ein kleines Gesamtkunstwerk geschaffen hat. Jeder Einstieg führt in einen Traum, aus dem man erst wieder erwacht, wenn der letzte Klang verklungen ist. Im November kommt übrigens seine neue CD „Alejandra“ heraus.
Die passenden Worte zu finden um den Cante von Pepe de Pura zu beschreiben ist gar nicht so einfach, aber er ist auf jeden Fall der Sänger der aktuellen Szene. Keiner stand bei der diesjährigen Bienal so oft auf der Bühne wie er. Sein sensibler Gesang und seine Stimme, die an goldene Zeiten erinnert, lassen niemanden unberührt. Seine Intonation ist makellos und seine Melismen und Melodien erreichen auch jene, die nichts vom Flamenco verstehen. Seine Musikalität überwindet alle Hindernisse. Er imitiert niemanden, aber viele würden gerne so singen wie er. Er weckt Emotionen und selbst das ausländische Publikum freut sich über eine zarte Gänsehaut.
Es ist nicht nötig die Perfektion von Licht und Ton zu erwähnen, wenn man bedenkt, dass Olga García und Pepe Cervera, der Paco de Lucía viele Jahre lang auf seinen Tourneen begleitete, dafür verantwortlich waren.
Wie ein Lichtstrahl durchdrang das Wochenende im tanzhaus nrw diese dunklen Zeiten und alle hoffen, dass weitere Sterntaler auf uns herunterfallen mögen, spätestens beim nächsten Festival zu Ostern 2021.
TEXT: SUSANNE ZELLINGER // FOTOS: ALBRECHT KORFF