José Galván oder die Würde des Meisters
Das Interview aus dem Jahr 2009 hat nichts an Aktualität verloren, ganz im Gegenteil. Im Video sehen Sie José Galván bei einem Auftritt im Casa Patas im April dieses Jahres.
Nach 30 Jahren Abwesenheit hat sich der Vater von Israel und Pastora wieder entschlossen, die Bühne zu betreten und den faszinierten Zuschauern eine Lehrstunde in Flamencotanzkunst zu geben. Überraschend jung, klar und brillant zeigte der inzwischen 64 jährige Meister, worauf es im Tanz ankommt und wirkte dabei kein bisschen veraltet, eingerostet oder technisch unterlegen.
José Galván beginnt seine Karriere im Alter von 12 Jahren beim Wettbewerb von Radio Sevilla „Escucha usted a sus vecinos“ den er auch gleich gewinnt. Der Manager Rafael Montilla wird auf ihn aufmerksam und verschafft ihm Engagements in verschiedenen Compañías, sein Weg führt in auch in die berühmtesten Tablaos der damaligen Zeit wie „El Platero“ an der Costa del Sol oder „La Trucha“ in Sevilla.
1966 lernt er seine zukünftige Frau Eugenia de los Reyes Bermúdez kennen, Bailaora und Gitana mit der er von an gemeinsam auftritt. Sie bekommen drei Kinder, Israel, Pastora und José Antonio und als Eugenia beschließt mit dem Tanzen aufzuhören, weil sie sich den Kindern widmen möchte, beendet auch José Galván vorerst seine Bühnenkarriere.
Ende der 70-er Jahre eröffnet er seine Academia de baile im Sevillaner Barrio San José Obrero, die sich im Laufe der Jahre zu einer der wichtigsten Tanzschulen Sevillas entwickelt. Bailaores und Bailaoras der ersten Kategorie zählten zu seinen Schülern: Juana Amaya, Hiniesta Cortés, Rafael de Carmen, Manuela Ríos, Adela und Rafael Campallo oder María Serrano um nur einige zu nennen.
Der strengste Meister war er aber mit Sicherheit für seine beiden Kinder Israel und Pastora. Besonders Pastora hatte unter seiner strengen Hand zu leiden und noch heute bedauert sie, dass sie vieles nicht durfte, was ihren Freundinnen erlaubt war. Freundschaften außerhalb des Conservatorios oder der Academia zu schließen war so gut wie unmöglich, dazu hatte sie einfach keine Zeit. Ihr Weg war von ihrer Geburt an vorgezeichnet und der Druck und die Verantwortung waren für sie nicht immer leicht zu ertragen.
Dazu kommt, dass sie nicht nur Tochter eines bekannten Tänzerpaares ist, sondern auch die kleine Schwester des genialen Israel, der ihr zwar immer Vorbild und Freund war, aber die Maßstäbe unglaublich hoch setzte. Aus seinem Schatten hervorzutreten und ihren eigenen Weg zu gehen ist eine Leistung, auf die sie mit Recht stolz ist.
Die Rückkehr ihres Vaters auf die Bühne ist für die Anhänger von Israel und Pastora auch mit einem Aha- Erlebnis verbunden: Ganz deutlich treten nun manche Dinge zu Tage: Die glasklaren Zapateados, die Gelassenheit einerseits und das Temperament andererseits wie die starke Bühnenpräsenz vererben sich offensichtlich dominant: „Wenn der Meister die Bühne betritt und die Arme hebt, füllt er die Bühne und mit einem leichten Drehen des Kopfes bewegt er die Welt“ so zu lesen in einer Kritik nach seinem Auftritt mit der ganzen Familie beim Festival in Nîmes.
Sein Stück „Maestría“ beim diesjährigen Festival in Jerez wurde mit Standing Ovations und hervorragenden Kritiken belohnt und es wurde der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass der Patriarch der Galván Dynastie die Bühne nie mehr verlassen werde. Begleitet wurde er übrigens unter anderen auch vom deutschen Vorzeigegitarrist Ulrich „El Rizos“ Gottwald, der allen Jerezkennern als tapferer Retter so mancher Juerga lieb geworden ist.
Im folgenden Interview zeigt sich der Maestro offen und großzügig und genau wie seine Kinder bereit, sich mutig dem Zeitgeist entgegenzustellen, indem er ein Programm zeigt, das beweist, dass künstlerische Qualität zu jeder Zeit ihre Gültigkeit hat.
Was empfinden Sie, wenn Sie Ihre Kinder tanzen sehen?
Also ehrlich gesagt, versetze ich mich als erstes in die Rolle des Kritikers, so als ob ich ein ganz normaler Zuschauer wäre und wenn etwas, was ich sehe bei mir nicht ankommt, dann sage ich es ihnen, aber wenn es mir gefällt, dann genieße ich es und sage es ihnen natürlich auch. Ich bin da ganz klar, denn wenn es bei mir nicht ankommt, der ich ihr Vater bin, was ist dann bei den Leuten, die ihnen nicht so nahe stehen und die sie nicht so gut kennen.
Und als Israel mit seinen seltsamen Dingen auf die Bühne kam, waren Sie da auch ganz offen, denn das war ja sicher nicht so einfach für Sie…
Ehrlich gesagt war es ein sogar ein ziemlicher Schock für mich, denn ich hatte ihn ja von klein auf unterrichtet, als er so 4-5 Jahre alt war. Da tanzte er schon ziemlich gut Bulería und zwar Flamenco, den Flamenco, den er von mir gelernt hatte und dann gewann er den Preis in Córdoba, dann den Giraldillo bei der Biennale von Sevilla und den Desplante in La Unión. Er war so sehr flamenco und dann kam 1995 dieser totale Umschwung und ich verstand ihn überhaupt nicht. Es war mir unmöglich ihm zu sagen, dass es mir gefällt, auch wenn ich gewollt hätte, denn was er da machte hatte für mich nichts mit dem Flamenco zu tun, den ich kannte und den ich so sehr liebte, also machte ich ihm am Anfang ziemlich die Hölle heiß. Ich bat ihn sogar, er solle doch wenigstens ein bisschen von dem zeigen, was er bei mir gelernt hatte, er könne ja seine Sachen trotzdem weitermachen. „Zeig ihnen doch, dass du ein Flamenco bist“, sagte ich zu ihm und ich fühlte mich wirklich sehr schlecht. Emotional und als Vater fühlte ich mich einfach schlecht, ich als Maestro mit einer Academia, ich hatte ihn doch gelehrt, was Flamencotanzen heißt, aber gut, so nach und nach habe ich mich dann damit abgefunden, es blieb mir ja nichts anderes übrig, und ich begann auch ihn zu verstehen. Aber so richtig überzeugt hat er mich erst mit „La Edad de Oro“ mit Fernando Terremoto und Alfredo Lagos, sein nächstes Stück „Arena“ hat mich dann auch sehr beeindruckt und in „Apocalypsis“ hat er mich schließlich überzeugt mit seiner Seguiriya, die hat mein Herz berührt und ich wusste, jetzt ist er wieder bei seinen Wurzeln.
Und jetzt sagt man doch, dass er mehr flamenco ist als alle anderen…
Ja, weil sich alle anderen auch so verändert haben. Deswegen bin ich ja auch auf die Bühne zurückgekehrt. Als ich sah, dass alle so ganz anders tanzten als ich es gelernt hatte, beschloss ich, mit dem Flamenco so wie ich ihn kenne auf die Bühne zurückzukehren.
Sie wissen also genau wie schwierig so ein Leben als Künstler ist, wollten Sie trotzdem dass ihre Kinder den gleichen Weg einschlagen?
Wenn ich noch einmal von vorne beginnen könnte und mehr Kinder hätte, würde ich wollen, dass alle von ihnen Tänzer werden, ich liebe den Flamenco und die Kunst.
Obwohl es so schwierig ist?
Also schwer hatte ich es, als ich damals begann, ich musste mehr als einmal im Umkleideraum schlafen, wenn ich mit Tanzkompanien unterwegs war, die die vereinbarten Gagen nicht auszahlten, weil einfach kein Geld da war, das nenne ich schwierige Bedingungen, denn es ging auf Kosten unserer Gesundheit, weil wir uns nicht einmal das Essen leisten konnten, geschweige denn ein Hotel, es gab keine Duschen usw. Heutzutage kennt man diese Probleme ja kaum noch, es gibt auch viel mehr Freundschaften zwischen den Künstlern, früher gab es das nicht, bedingt durch den Hunger und die Not. Wenn einer die Möglichkeit hatte, dir ein Bein zu stellen, dann tat er es, wenn er sich dadurch einen Vorteil erhoffte. Jeder hatte Angst seine Arbeit zu verlieren weil, es ihm so schlecht ging und darum hatte man oft mehr Feinde als Freunde. Aber den Jungen von heute geht es doch gut!
Haben Sie nicht noch einen Sohn? Was ist denn mit dem?
Tja, daran war meine Frau schuld, nicht ich. Und meine Frau ist Gitana, Bailaora und Künstlerin, aber ihr war die Künstlerdichte in der Familie ohnehin schon zu hoch und da wollte sie, dass er etwas Ordentliches lernt und später bei einer Bank anfängt. Das hat er dann aber doch nicht gemacht und so studiert er Psychologie.
Er tanzt also gar nicht, oder?
Doch, bei meinem letzten Auftritt in Sevilla war er mit auf der Bühne und hat seine „Pataíta“ zur Bulería beigetragen, denn als Sohn einer Gitana muss er zumindest Bulería tanzen können, sonst hätte ich das nicht ertragen, also unterrichte ich ihn ab und zu.
Ist er der Jüngste?
Ja, er ist erst 25.
Warum hat Ihre Frau, Eugenia de los Reyes eigentlich mit dem Tanzen aufgehört?
Sie hörte 1978 auf, als sie gerade 26 Jahre alt war, weil sie bei den Kindern bleiben wollte. Auch das war ihre Entscheidung und nicht meine. Die Gitanas nehmen ihre Kinder entweder überallhin mit, oder sie bleiben bei ihnen. Und sie blieb bei ihnen. Für mich war das nicht einfach, wir hatten ja seit Kindheit an miteinander getanzt und ich konnte nicht einsehen, dass ich jetzt alleine auf die Bühne zurückgehen sollte, also beschloss ich eine Academia zu eröffnen. Die funktionierte von Anfang an sehr gut und so bin ich dabei geblieben.
Waren Verbindungen zwischen Payos und Gitanos damals eigentlich etwas alltägliches?
Eigentlich nicht, aber in der Familie meiner Frau schon. Eine ihrer Kusinen, eine hundertprozentige Gitana väter- und mütterlicherseits heiratete zum Beispiel einen Guardia Civil und ihre Brüder sind auch alle mit Payos verheiratet. Keiner von ihnen ist der Tradition gefolgt.
Wer ist denn nun mehr gitano, Israel oder Pastora?
Pastora, auf jeden Fall. Die hat ein unglaubliches Temperament.
Nicht nur ihre Kinder sind durch Ihre Academia gegangen, sondern auch viele andere namhafte Künstler, nennen Sie uns doch ein paar…
Oh das waren viele, Juana Amaya, Rafael Campallo, Rafael del Carmen, Domingo Ortega, Juan de los Reyes, Torombo und viele mehr.
Und morgen Abend werden Sie dennoch wieder auf der Bühne stehen.
Ja, um zu zeigen, was für mich der Flamenco bedeutet und das erfüllt mich wirklich mit großer Befriedigung. Es würde mich freuen, wenn du nachher hinter die Bühne kommst und mir sagst, wie es dir gefallen hat.
Das mache ich gerne. Vielen Dank.