Joaquín Grilo im Interview: Niemand tanzt wie er

Joaquín Grilo, geboren 1968 in Jerez de la Frontera ist einer der wenigen Tänzer, die einen unverwechselbaren, ganz eigenen Stil bewahrt haben. ‚Niemand tanzt wie er’, sagten die Fans nach seinem umjubelten Auftritt mit „Alma“ beim diesjährigen Festival de Jerez. Nach „La Calle de mis Sueños“ 2019, wo er die Aficionados etwas ratlos zurückließ, hatten sie im Mai endlich ihren Joaquín Grilo wieder und belohnten ihn mit Minuten langen Standing Ovations.

Hier ein kleiner Ausschnitt aus meiner damaligen Kritik, die verdeutlicht, was das besondere an diesem Ausnahmetänzer ist: Und wenn er dann endlich auf seinem Terrain ist, gibt es wenige, die ihm das Wasser reichen können. Diese Remates und Desplantes, diese Nähe zum Cantaor, wenn die Welt sich plötzlich verkleinert und sich auf dieses kleine Grüppchen fokussiert, dann ist es so, als ob Joaquín Grilo alles rundherum aufsaugen würde, dann gibt es nur ihn. Und daran werden wir uns erinnern.

Er tanzte für Lola Flores, Vicente Amigo und war sieben Jahre mit Paco de Lucía unterwegs.

Beim Festival de Jerez ist er seit vielen Jahren ein Dauergast, und wenn die Gerüchte stimmen, kommt er im nächsten Jahr zu uns.

Joaquín Grilo, ist das dein Künstlername?

Nein, das ist mein richtiger Name

Kommst du aus einer Künstlerfamilie?

Nein. Ich bin der erste, aber in meiner Familie gab es einige Aficionados. Mein Onkel, der Bruder meiner Mutter sang sehr gut, Malagueñas, Granaínas, im Stil von Rancapino, dann noch ein anderer Onkel, Antoñirri, auch aus der Familie meiner Mutter war Kellner und tanzte in den Ventas, aber nicht professionell. Die Entscheidung, Künstler zu werden kam aber eher von meinem Vater, der ein großer Aficionado war und der mich sehr unterstützte – und natürlich durch die Tatsache, dass ich in Jerez geboren wurde, in einer Straße im Pozo Olivar, wo es praktisch jeden Tag eine Fiesta gab. Ich bin im Barrio Santiago aufgewachsen, bei der Ermita de la Soledad.

Welche Erinnerungen hast du daran?

In einer Bar, wo mein Vater und alle Fischhändler, die Zambos, Fernando de la Morena nach der Arbeit zu Mittag zusammenkamen, um eine Copa zu trinken, spielten die Gitanos immer ein Spiel, das hieß „El Rentoy“, da spielten immer sechs Personen und man musste sich gegenseitig sehr gut kennen um zu gewinnen. Da geht es darum Punkte zu bekommen und jeder, der gewann, musste einen Cante singen oder tanzen, was natürlich immer in einer Fiesta endete. Und nachdem ich immer dabei war, bin ich so ganz spielerisch in diese wunderbare Welt des Flamenco hineingerutscht.

Wolltest du immer Tänzer werden?

Na ja, eigentlich wollte ich Cantaor werden, aber dafür fehlte mir die Stimme, auch wenn ich den Cante gut kannte, wenn du das Instrument nicht beherrscht, dann geht das nicht. Das ist anders beim Tanz oder bei der Gitarre, wenn du genügend übst, dann kannst du tanzen, mehr oder weniger gut, du kannst spielen, aber die Stimme hast du oder du hast sie nicht. Der Cante ist das ganz große Geheimnis des Flamenco.

Stammst du aus einer großen Familie?

Wir sind acht Geschwister: Ich bin der Älteste, meine Schwester Carmen, die singt, ist die jüngste und Carlos ist der jüngste meiner Brüder. Alle andern haben natürlich auch eine Ahnung und machen ihre Pataíta.

Dein Bruder Carlos ist ein gefragter Palmero, aber er spielt ja auch ziemlich gut Gitarre…

Genau! Aber er ist einfach zu scheu, er ist schüchtern und da ist es mit den Palmas schon einfacher. Er weiß, wie viele gute Gitarristen es gibt und darum traut er sich nicht, obwohl er sehr, sehr gut spielt. Nicht nur ich, sondern auch die anderen Gitarristen sagen ihm immer, dass er endlich diesen Schritt tun soll, denn er holt aus seiner Gitarre einen Klang heraus, wie es nur wenige können und das auf eine sehr natürliche Art. Es ist eine Gabe. Er ist auch sehr sensibel in seinem Spiel, genauso wie mit den Palmas.

Bist du auch eher schüchtern?

Ich glaube schon. Im Grunde bin ich das. Ich vergleiche das immer mit den verschiedenen Hunderassen: Der Dobermann ist einer der Hunde, die am meisten Angst haben. Deswegen ist er so mutig. Die Angst macht mutig. Wenn du ein Mensch mit inneren Ängsten bist, kämpfst du umso mehr, du willst besser sein um diese Angst zu übertünchen, das ist deine Art, dich deinen Ängsten zu stellen.

Beim letzten Festival, 2019 warst du ja auch ziemlich mutig, dein Stück „La calle de los sueños“ war ziemlich gewagt.

Wenn ich ein Stück mache, denke ich nicht darüber nach, ob es gewagt ist oder ein Risiko in sich birgt, ich tue das, was mein Körper und mein Gefühl in diesem Moment braucht. Mein Ansatz ist nie „Ich mache jetzt einmal etwas Gewagtes.“ Ich lasse mich von meiner Intuition leiten. Sie steht über der Vernunft. Die Vernunft kontrolliert vielleicht die Intuition, aber nicht mehr.

Dein überaus erfolgreiches, aber eher harmonisches Stück in diesem Jahr war also keine Reaktion auf das letzte Jahr?

Nein, denn wenn du etwas neues machst, weißt du ja nie im Vorhinein, wie das Publikum reagieren wird. Für mich ist es wichtig, dass wir uns wohlfühlen, dass die Energie zwischen uns Künstlern fließt, dass wir zufrieden mit unserer Arbeit sind, dass es eine Harmonie gibt. Jetzt, nach diesem furchtbaren Jahr der Pandemie, wo wir so lange nicht auftreten konnten, waren die Bedürfnisse auch anders, aber wie gesagt: ich lasse mich von meiner Intuition leiten.

Der Erfolg gab dir auf jeden Fall recht, ein besonders schöner Moment war der Auftritt von Luis el Zambo

Ja, ihn wollte ich unbedingt dabeihaben. Er ist ein der wenigen alten Seelen des Cante de Jerez, die wir noch haben und er kennt mich schon seit frühester Kindheit, noch bevor ich zu tanzen begann. Als ich ihn anrief, hat er sich sehr gefreut und er hat sich hervorragend in das ganze Ensemble eingefügt. Er ist ja nun kein Bühnenprofi in dem Sinn, er hat sein ganzes Leben lang Fisch verkauft und eigentlich erst professionell gesungen, als sein Vater starb. Aber es war wunderbar ihm zuzusehen, das hat mich sehr bewegt. Er ist eine Quelle, aus der wir alle trinken, man muss ihm einfach seinen Platz geben.

Du bist  kein Gitano, aber viele Künstler, mit denen du zusammen arbeitest. Jerez ist ja in diesem Sinne sowieso etwas besonderes

Darüber habe ich vor kurzem erst mit Juan Garrido in einem Interview gesprochen, dass Jerez wahrscheinlich die einzige Stadt ist, in der alle Gitanos sein wollen und die Gachos sagen „Primo“ zu ihren Gitano Freunden, sie ziehen sich an wie sie und sie mögen ihre Art zu leben. Und diese Art der Gemeinsamkeit, der Verbrüderung, macht den Flamenco von Jerez so anders und so unglaublich reich. Dabei meine ich nicht, schlechter oder besser, sondern einfach anders. In Sevilla leben viele der Gitanos abgetrennt in den Tres Mil, genauso in Madrid, in Jaén oder in Córdoba. Nirgends ist es so wie hier. Wenn ich früher nach Madrid kam, glaubten die Gitanos immer, dass ich auch einer wäre, so sehr hat ihre Lebensweise auf mich abgefärbt, sie war mir einfach vertraut.

Würdest du sagen, dass der Flamenco die Stellung der Gitanos in der Gesellschaft verändert hat?

Auf jeden Fall, seit sie hierher gekommen sind und sich integriert haben, den Flamenco bereichert haben, werden sie natürlich anders angenommen, sie sind weder ausgeschlossen noch leben sie am Rande, das geht eben so weit, dass die Gachós sein wollen wie sie.

Der Flamenco kommt von hier und er war immer da. Die Gitanos haben ihn aufgenommen und ihn sich zu eigen gemacht, ihm ihren Stempel aufgedrückt und ihn dadurch auch verändert.

Jetzt gerade befinden wir uns in einem Haus in der Albarizuela, dem dritten Barrio gitano von Jerez

Das weiß ich, denn hier habe ich Nuria, meine Frau kennen gelernt, im Ballet Albarizuela, da waren wir noch sehr jung. Fernando Belmonte hat es gegründet, es war ein Kinderballett, aber mit einem ziemlich hohen Niveau. Wir machten alles, Boleros, Escuela bolera, Clásico, regionale Tänze – wir haben sogar das Teatro Martín in Madrid eröffnet und im Publikum saßen viele der ganz großen Tänzer.

Jetzt wohnt ihr ja nicht mehr im Zentrum von Jerez, oder?

Nein, wir sind rausgezogen in die Nähe des Circuito, als unsere Töchter klein waren, aber auch wegen der Ruhe und ich habe da auch mein Studio, wo ich mit meinen Musikern proben kann ohne die Nachbarn zu belästigen.

Hast du schon wieder neue Pläne?

Ja, wunderbare Pläne, im Moment ist ja immer noch alles in Warteposition, weil das versäumte aufgeholt werden muss, aber im nächsten Jahr haben wir Auftritte in Madrid und Sevilla, in Dänemark, Wien und Prag. Gestern haben wir Fotos gemacht mit Remedios Amaya für die Fiesta de la Bulería in Los Angeles im November mit Antonio Rey, Manuel Parrilla, Diego del Morao, María del Mar Moreno, Antonio Malena, Jesús Méndez und meiner Schwester Carmen. In Wien sind wir in Kontakt mit dem Jazzfestival mit einer Hommage an Paco de Lucía.

Mit ihm habe ich dich das erste mal gesehen, auch in Wien.

Daran erinnere ich mich oft, weil es so schön war. Kennen gelernt habe ich Paco ja in Japan, als ich Vicente Amigo auf seiner Tour begleitete . Damals war Manuel Soler mit Paco unterwegs, aber er war schon sehr krank und Paco rief Vicente an, er war in Costa Rica und fragte nach mir. Vicente rief mich an, ich war gerade bei Nuria zuhause und er hinterließ mir eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter -J- er sagte, dass er den besten Job der Welt für mich hätte und dass Paco wollte, dass ich am nächsten Tag nach Quito fliegen solle um mit ihm auf Tournee zu gehen.

Ich konnte es kaum glauben und war furchtbar nervös, aber ich packte meine Koffer und machte mich auf den Weg. In Quito wartete ich dann zwei Tage auf ihn – es waren die längsten zwei Tage meines Lebens – und dann kamen sie, sagten Hallo und taten so, als ob nichts wäre. Paco im Trainingsanzug und der Kappe, die er immer aufhatte, fragte mich ob ich Perkussion spielen könnte, ich sagte ja, Bongos und Maraca und er schenkte mir einen Cajón. – Bis morgen beim Soundcheck- sagte er und ging.

Am nächsten Tag stellten sie die Mikrofone auf und da stand ich nun, mit all meinen Idolen – Paco, Carlos Benavent, Cañizares, Ramón de Algeciras , Rubem Dantas, Jorge Pardo, plötzlich spielte ich also in der ersten Division. Ich konnte alle seine Stücke auswendig, Note für Note, es war die Zeit in der ich nur die Platten von Camarón und Paco hörte, und so schlug ich mich ganz gut.

Paco und ich wurden gute Freunde während der sieben Jahre, in denen wir gemeinsam auf Tour waren. Diese Tourneen waren ja gigantisch, sie begannen normalerweise in Lateinamerika und den USA, dann flogen wir für eine Woche nachhause um uns auszuruhen, weiter ging es mit einem Doppeldeckerbus durch Europa und dann nach Asien. Wenn wir am Ende des Jahres wieder zuhause waren, gab es eine kurze Ruhepause und dann begann es am anderen Ende wieder von vorn. Es war eine unglaubliche Zeit.

Du bist auch mit Lola Flores aufgetreten, nicht wahr?

Oh ja, auf den Ferias in Malaga und in Madrid, wir hatten viele Fernsehauftritte, sie war ja auch sehr theatralisch und rezitierte, dazwischen tanzte ich, sie hatte eine unglaubliche Energie und eine starke Ausstrahlung. Ich war auch oft bei ihr zuhause, sie war eine großartige Gasgeberin und die Türen ihres Hauses standen immer offen und es war zu jeder Tageszeit voll von Leuten. Sie hatte auch immer ein Essen vorbereitet, eine Berza oder Menudo, es war eine Fiesta ohne Ende.

Du bist, obwohl du noch so jung bist, das Bindeglied zu einer anderen Zeit, die viele nicht erlebt haben. Dennoch hast du einen sehr aktuellen, modernen Stil, der die neue Generation fasziniert.

Ich lasse mich sehr von meiner Inspiration leiten, ich sehe mir viele andere Tänzer an, ich bin ein begnadeter Räuber, ich nehme viele Dinge auf und schicke sie dann durch meinen Filter, dadurch bin ich nie stehen geblieben. Ich arbeite aber auch sehr viel.

Nach der Vorstellung in Jerez waren alle sehr begeistert und einer der jungen Tänzer machte dir ein sehr schönes Kompliment, er sagte – Wir wollten alle, dass diese Bulería niemals endet!-

Es ist für jeden Künstler wichtig, dass er den Kollegen gefällt, ich freue mich natürlich, wenn sie kommen und mir sagen, dass es ihnen gefallen hat, aber andererseits spüre ich auch eine große Verantwortung.

In den letzten Jahren hast du dich ein wenig zurückgezogen, kann das sein?

Das ist wahrscheinlich das Alter….., nein, das kommt auch daher, dass es immer schwieriger wird, deine Persönlichkeit zu entwickeln, deinen eigenen Stil zu behalten, mit den ganzen Medien und so, aber ja, früher war ich bestimmt mehr unterwegs.

Leider war dein Stück ja nicht auf Streaming zu sehen, war das dein Wunsch?

Ja, das war mir einfach zu gefährlich, weißt du? Eine Premiere, noch dazu in meiner Stadt, nach ein einhalb Jahren in denen du nicht auftreten konntest, ist die Lust, alles zu geben, so groß, das war mir ein zu großes Risiko.

Hast du noch etwas für das große Schlusswort parat?

Nicht wirklich, außer dass ich immer noch große Lust habe zu tanzen, ich noch immer die Schmetterlinge im Bauch spüre bevor ich die Bühne betrete und dass, wenn das einmal nicht mehr so ist, ich aufhören werde.

Na dann wollen wir hoffen, dass es noch lange andauert. Vielen Dank.

Es war mir wie immer ein Vergnügen.

Text: Susanne Zellinger

Titelfoto: Esteban Abión für flamencomanía.es

Fotos: Ana Palma