Eine der schönsten Entdeckungen in Luxemburg war der junge Gitarrist Jero Férec, der mich schon beim ersten Ton, den er auf der Gitarre anschlug, aufhorchen ließ. Er hat diesen klassischen, klaren und kraftvollen Toque, der heutzutage gar nicht so leicht zu finden ist und wenn er über sich selbst spricht, benützt er die weibliche Form. Er ist ein reizender Mensch und ein aufmerksamer Gesprächspartner. Er lebt in Barcelona und sein Projekt „Flamenco queer“ ist ein Renner. An einem sonnigen Morgen in Esch sur Alzette nahm er sich Zeit um mit mir zu sprechen.

Ich heiße Jeremy, aber von klein auf nannten sie mich Jere und in Spanien auch

Jeremy ist ein englischer Name…

Ja, mein Vater ist Engländer und meine Mutter Französin, ich bin eine totale Mischung. In London bin ich geboren und aufgewachsen aber nach der Schule bin ich dann gleich nach Spanien übersiedelt.

Hast du da begonnen, Flamencogitarre zu spielen?

Ich habe mit acht Jahren angefangen Gitarrenunterricht zu nehmen, der Flamenco hat mich von Anfang an fasziniert. Mein Vater hörte zuhause viel Musik, alles Mögliche und auch Flamenco. Mein Bruder spielte Trompete, eher Jazz und ich habe klassische Gitarre gespielt, aber das war mir schnell langweilig und ich hatte das Glück, dass mein erster Lehrer ein großer Aficionado war und mir Flamencostücke gezeigt hat, ich habe also angefangen, da war ich noch sehr jung.

Welche Gitarristen haben dir denn damals gefallen?

Oh, sehr viele, Paco de Lucía natürlich, Moraíto, Vicente Amigo, Pepe Habichuela vor allem. Auch den Cante fand ich toll, also durchforstete ich an den Wochenenden alle Plattenläden und nahm, was ich kriegen konnte, das war damals ja gar nicht so leicht.

Damals? Wie alt bist du denn?

Ich bin 29, morgen ist mein Geburtstag, also bin ich heute noch 28.

Bist du wegen des Flamencos nach Spanien gegangen?

Ich habe schon vorher versucht, Flamencos kennen zu lernen, in London, ich lebte in Südengland und da hatte ich nicht viele Möglichkeiten. Aber auch da hatte ich Glück, weil meine Eltern Andalusien und die spanische Kultur liebten und sie mich auf ihren Reisen mitgenommen haben, so konnte ich auch Unterricht nehmen in Jerez, Granada oder Sevilla.

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Mit 18 Jahren ging ich dann nach Madrid und nahm Unterricht bei El Ebri, er war ein sehr guter Lehrer, gab mir eine gute Basis und lehrte mich Disziplin.

Schließlich landete ich in Barcelona, ich studierte spanische und französische Philologie, ich liebe Sprachen und lerne auch gerne etwas Neues. Meine Lehrer waren da Juan Ramón Caro und dann im ESMUC ( Escuela Superior de Música de Barcelona) ein Jahr lang bei Rafael Cañizares und Eduardo Cortés.

Siehst du dich auch als Sologitarrist?

Überhaupt nicht. Ich begleite am liebsten Tanz und das kann ich auch am besten. Den Cante auch, aber noch lieber den Tanz.

Was machst du denn künstlerisch gerade?

Im Moment bin ich mit dem Projekt „Flamenco queer“ beschäftigt, das wir 2019 mit dem Ziel gestartet haben, einen freien, persönlichen und sicheren Raum zu schaffen, um den Flamenco von der Identität her zu erforschen, und über die Jahre sind wir gewachsen und haben das Projekt formalisiert. Wir, das bin ich und der Tänzer Ruben Heras, wir haben uns bei der Arbeit in den Tablaos kennengelernt und nach und nach haben wir gesehen, dass unser Interesse in die gleiche Richtung ging und wir genießen das sehr.

Braucht denn der „Flamenco queer“ eine Sonderstellung?

Es ist kein Label, das wir uns ausgesucht haben, wir haben es als eine informelle Performance-Reihe im Poble Sec in Barcelona begonnen und unser Ziel war es, etwas für uns, Ruben und mich, zu tun, wir wollten einen queeren Raum schaffen, inspiriert vom Flamenco und wir dachten, dass bestimmt nur wenige Leute kommen würden und wir schrieben auf das Plakat „Flamenco queer“, um zu beschreiben, was wir tun würden, um die Leute zu warnen, dass sie keine traditionelle Flamenco-Show erwartete.

Aber schon nach kurzer Zeit kam immer mehr Publikum und die Zuschauer waren begeistert und was als persönliche Notwendigkeit begann wurde zu einem Projekt, das nun schon einige Zeit dauert. Den Link zum Youtube Video finden Sie hier.

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Und das Wort „queer“ in diesem Zusammenhang bedeutet …

Es geht nicht darum, sich zu verkleiden oder sich wie eine Frau anzuziehen, die Bezeichnung „Flamenco Queer“ impliziert zwei Dinge, es sind zwei Worte, die viel Gewicht und viel Verantwortung tragen: Flamenco, weil wir den Flamenco erforschen, das Werkzeug, das wir lieben und mit dem wir uns auf der Bühne ausdrücken, und queer, weil wir auch die queere Identität erforschen. Das Wort „queer“ ist im Grunde ein diskriminierendes Wort, das im Englischen „seltsam“ bedeutet, und es ist ein Wort, das von der LGTBQIA-Gemeinschaft zurückerobert wurde, um nicht-hegemoniale oder eher nicht-normative Identitäten zu rechtfertigen, mit anderen Worten alles, was nicht cis-hetero ist. Es ist ein Wort, das sehr stark mit der Erforschung sexueller und geschlechtlicher Dissidenz in der Kunst, im Denken, in der Literatur und in der Philosophie verbunden ist, und ich mag es, weil es ein Wort ist, das sich mit der Zeit entwickelt und eine neue Bedeutung annimmt, genauso wie der Flamenco.

Es ist keine klar definierte, feste Größe, jeder Mensch hat seine eigene Art, es zu leben. Die Praxis des queeren Flamenco besteht darin, den Flamenco aus der Identität heraus auszudrücken, aus der Authentizität dessen, was wir sind und was wir tun können, und es ist eine Freiheit des Ausdrucks von Geschlecht und Sexualität.

Aber ihr richtet euch ja nicht nur an ein queeres Publikum, oder?

Nein, ganz und gar nicht. Wir haben in queeren Bars in Barcelona angefangen und machen dort weiter, indem wir Performances für die Community machen, aber wir sind auch in Räumen aufgetreten, die einem breiteren Publikum die Tür öffnen und ich denke, dass man nicht Teil der Community sein muss, um zu mögen, was wir machen, denn ich denke, man kann sehen, dass wir es mit viel Liebe und viel Enthusiasmus machen und wir wollen, dass das Publikum es genießt.

Ist es also notwendig die im Flamenco noch immer herrschende Hierarchie aufzubrechen?

Man muss sich immer der Ursprünge des Flamenco bewusst sein, man kann nicht leugnen, dass der Flamenco aus Andalusien kommt und dass die Gitanos in der Geschichte des Flamenco Pionierarbeit geleistet haben, und deshalb muss man ihnen Respekt zollen. Wenn man dann von einem anderen Ort als Andalusien zum Flamenco kommt, denke ich, dass es für eine Person wie mich wichtig ist, sich keine Kultur anzueignen, die nichts mit mir und meiner Geschichte zu tun hat, ich wollte mich auf der Bühne immer so darstellen, wie ich bin, und ich denke, dass der schönste und wahrhaftigste Flamenco daher kommt. Ich werde mich nicht als Andalusier oder als Gitano verkleiden, und ich glaube auch nicht, dass das heutzutage noch nötig ist.

Ich erinnere mich, dass es in den sechziger und siebziger Jahren in London für einen englischen Künstler, der in Tablaos und Restaurants arbeiten wollte, fast obligatorisch war, sich einen Namen zu geben, der andalusisch oder gitano aussah, und viele Künstler taten das. Es ist etwas, das vielleicht zu der Zeit als notwendig angesehen wurde, aber ich bin mir sehr bewusst, dass ich das nicht tun möchte. Ich bin aus London, ich bin schwul und ich bin queer.

Das bedeutet ja auch, dass sich einiges getan hat!

Der Flamenco ist inzwischen eine globalisierte Kunstform und es ist sehr schön, dass viele Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt kommen, um zu lernen und ihren Teil beizutragen. Und ich denke, dass wir all die verschiedenen Identitäten, die es heute gibt, vertreten müssen. Ich denke, dass der Flamenco im Laufe seiner Geschichte eine sehr vielfältige Kunstform war, die nicht spezifisch aus einer Identität oder einem Ort stammt, sondern aus vielen Orten und Identitäten, und er hat Einflüsse aus vielen Teilen der Welt, er hat sich immer verändert und weiterentwickelt und neue Bedeutungen angenommen.

JERO FÉREC - FOTOGRAFÍA PACO LOBATO

Du arbeitest viel mit Fernando López, der sogar ein Buch mit dem Titel „La historia queer del flamenco“ geschrieben hat.

Fernandos Arbeit ist für mich sehr wichtig und notwendig, da sie die Tür öffnet, um eine Seite der Geschichte des Flamenco kennenzulernen, die nicht so sichtbar war, und für uns ist es etwas Notwendiges. Durch die Arbeit mit ihm habe ich viele Dinge gelernt, er ist ein Künstler und ein Akademiker, der eine eigene Sichtweise hat.

Für das begeisterte Publikum war es gestern ja doch etwas Neues, und dennoch …

Egal, wo man sich befindet, Flamenco ist eine Kunst, die sich mit sehr universellen Varianten der menschlichen Erfahrung verbindet, und was man dabei spürt, ist etwas, das keine Grenzen hat, das keine Sprache kennt. Man sieht Menschen, die etwas tun, das aus ihrem Innersten kommt, etwas Wahres, und die Arbeit, die Fernando macht, ist sehr wahrhaftig und sehr ehrlich gegenüber der Person, die er ist, und dem Künstler, der er ist, und gegenüber den Einflüssen, denen man ausgesetzt ist, und das mag ich sehr. Man muss nicht einmal Spanisch sprechen oder aus Spanien kommen, um es zu genießen.

Dein Spiel ist ja eher traditionell

Ich spiele gerne sehr traditionell und einfach, ich setze zum Beispiel gerne den Daumen ein, um den Dingen viel Gewicht zu verleihen, und ich mag diese Dissonanz zwischen meinem Aussehen und meiner Spielweise.

Dieses sehr „schwuchtelige“, sanfte Spiel, das die Leute von mir erwarten, bekommen die Leute aber nicht und es überrascht sie, denn ich mag das schwere Spiel, ich bin von Rockgitarristen inspiriert, ich habe meine Wurzeln in England. Ich bin ein Londoner, der Flamenco mag, und wenn ich komponiere, bin ich von elektronischer Musik inspiriert, die auch diese Einfachheit der Struktur hat..

Was liegt denn jetzt vor dir?

Jetzt kommt der Sommer und wir bereiten eine Aufführung für die Monate der „Gay Pride“ in Barcelona vor, ich freue mich sehr, dass ich das tun kann, was mir gefällt und ich bin sehr glücklich, an Projekten wie „Pensaor“ von Fernando López beteiligt zu sein.

Um zu sehen, was ich mache, können Sie mich auf Instagram @jeroferec und auch @flamencoqueer finden und bald werden wir eine Website flamencoqueer.com haben, auch auf youtube und spotify werden wir zu finden sein.

Text: Susanne Zellinger

Fotos: Archiv des Künstlers, Foto in rot: Paco Lobato