Der sevillanische Tänzer Israel Galván triumphierte mit seinem Stück Fla.co.men beim Festival Ciutat Flamenco in Barcelona.
Israel Galván fixiert seinen Blick meistens auf einen Punkt. Das kann ein Tisch sein, ein Mikrofon oder ein kleiner Staubpartikel in der Luft. Selten schaut er jemand anderem in die Augen, schon gar nicht, wenn er ihn nicht kennt. Galván ließ seinen Stern über dem Festival erstrahlen, das er auch noch kuratierte. Wir wissen nicht, für welchen Teil des konfusen Programms er verantwortlich war, aber was sicher ist, ist, dass er Barcelona wieder mit einer Krone auf dem Haupt verließ.
Der Sevillaner präsentierte sein neues Programm Fla.co.men und das Publikum konnte nicht genug davon bekommen. Während einige Zuschauer bis zum letzten Moment versuchten, eine Karte zu ergattern, spazierte der schlanke und schöne Mann, der Israel heute ist, in sich versunken im grünen Trainingsanzug durch das Theater und tat so, als ob ihn das alles nichts anginge.
Diesen Eindruck erweckte er auch bei der Pressekonferenz am Beginn des Festivals. Mit seinen 42 Jahren ist er weder gleichgültig noch eingebildet. Seine Wirklichkeit ist eine andere. Als seinen Maestro nannte er Mario Maya und „Enrique el Co-co-co-co-cojo“, er stotterte, was ihm manchmal passiert, und immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Genauso wie sein Lachen. Bei diesem Festival lachte er genau drei mal: das erste mal, als er bei der Präsentation in der Halle des Mercat de les Flors mitten im Publikum tanzte. Das zweite mal, als er im Zuschauerraum des Pina Bausch Saals saß und dem Tanz von Uchi applaudierte, der kleinen Gitana, in deren Rundungen sich alle Formen des Compás zu verstecken scheinen. Zum dritten mal während der Tänzer Cesc Gelabert die Soleá von El Guito reinterpretierte. Sein Lächeln definiert ihn besser als seine Worte. Er geht sparsam damit um und er beschreibt damit, was ihm gefällt, was ihn begeistert und ihn inspiriert.
Galván benimmt sich wie ein kluges Kind. Sein Schweigen und die Art, genau das zu tun, was ihm passt, sind keine Launen. Er erinnert an diese begabten Kinder, denen die Eltern absolute Freiheit lassen, weil sie irgendwie weise sind. Dieses Benehmen bietet ihm Schutz. Vor den aufdringlichen Fans und den Journalisten, die ihn mit einer Mischung aus Vorsicht und Bewunderung behandeln, was uns andere wiederum daran hindert, profundere Antworten zu bekommen. Sie tun es, weil Israel als Ganzer irgendwie fragil erscheint. Dieser Eindruck verschwindet jedoch, wenn man ihn im einzelnen betrachtet: Weder seine Augen, noch sein Körper oder sein Lachen sind zerbrechlich.
Er tut so, als ob er ein Kind wäre, aber er ist keins. Seine rundlichen Formen sind über die Jahre verschwunden, wie bei uns allen. Aber bei ihm war es außerdem ein radikaler Richtungswechsel, der seine Züge härter gemacht hat. Es geschah im Jahr 2007, als er sich bewusst wurde, dass er mit seinem Tanz nicht glücklich war, weil er das Gefühl hatte, dass es nicht seine eigenen Bewegungen waren, die er machte, sondern die eines anderen. Er erkannte, dass er seine eigene Sprache finden musste, eine die nur ihm gehörte und einzigartig war.
Und jetzt sehnt er die nächste Wendung herbei. Dieser Mann, dem die höchste Auszeichnung, der Premio Nacional de Danza verliehen wurde, dachte immer, dass der Flamenco etwas total Individualistisches wäre, aber für ihn sei der Moment gekommen, etwas anderes zu probieren. Sagt er um im nächsten Moment anzufügen: „Ich kann nur alleine tanzen.“ Das ist kein Widerspruch, er weiß nur, dass es schwierig sein wird.
„Ich bin Musiker. Ich mache mit meinem Körper Musik“, sagte Galván vor einigen Tagen und darum geht es bei Fla.co.men, das Stück, mit dem er die Zuschauer in Barcelona verzauberte. Er ging auf die Bühne mit einer Schürze, bereit live seinen eigenen Rhythmus zu kochen. Das Theater lag für einige Minuten im Dunkeln, sein Thema ist die Musik und die kann man auch mit geschlossenen Augen hören. Eine leere Partitur vor sich gab er vor, den Noten zu folgen und begann zu tanzen, wobei sein Tanz genau so zerstückelt ist wie seine Sprache. Es ist sein Dialekt und er entspricht seiner Zeit. Eine Zeit in der die jungen Erwachsenen lieber Serien als Filme sehen und lieber stückhafte Literatur ohne durchgehende Handlung lesen als die endlosen Predigten eines Dostojevski.
Das Bemerkenswerte an Israel und die Größe seines Werkes liegen darin, dass es, sosehr er sich auch bemüht, die Palos zu zerbrechen, zu zerstören, zu zerstückeln oder neu zu erfinden, es immer Flamenco bleibt und klingt. Denn man kann seinen Vater töten, sich von der Mutter lossagen, sein Blut und sein Land verleugnen, aber man riecht immer nach dem Ort woher man kommt.
Übersetzung Susanne Zellinger
Foto Maude Sophie Andrieux