Als ich „Caída del Cielo“ zum ersten mal sah, war mir dieser weiße Beginn ein Rätsel, die Stille brüllte mich an und der Moment der Nacktheit war eine Erlösung. Wie Sie wissen, bin ich ja der festen Überzeugung, dass man Stücke, die so komplex sind wie „Caída del Cielo“, mehrmals sehen sollte und heute, nachdem ich es zum fünften mal gesehen habe, bin ich so fasziniert von dieser weißen Stille, dass ich sie herbeisehne und mit Wehmut ihr Ende beklage und das jedes mal.
Die Wahrheit. Die Stille. Die Unschuld.
Schon am Beginn, wenn nach dem ohrenbetäubenden Einstieg der vier Flamenco Rocker der Ton abbricht und die Bühne in Schwarz versinkt, überrascht dieses glänzende Weiß in seiner Reinheit. Ein weißer Boden, eine weiße Rückwand, eine weißes Kleid und die Versunkenheit einer Frau, deren Körper sich wiegt wie im Weizenfeld, wenn der Wind leise hineinfährt.
Das Gute. Der Anfang. Die Unschuld.
Weiß ist die Farbe der Götter und ihrer Vertreter. Zeus erschien Europa als weißer Stier, die heiligen Vögel der Unsterblichkeit sind weiß, genauso wie die weiße Taube, das Hochzeitskleid ist weiß, das Kleid der Mädchen zur ersten Kommunion. Rocío Molina ist alles das. Sie ist das neu geborene Kind genauso wie das Mädchen, sie träumt und wartet, sie lässt sich fallen und schaut was passiert, sie schlittert auf brüchigem Eis und fühlt sich dennoch sicher, sie ist ein weißes Blatt Papier auf dem nichts steht. Alles ist möglich.
Das Neue. Die Ideale. Die Unschuld.
Die Sonntagskinder , die die Römer die Kinder der weißen Henne nannten, weil ihnen alles leicht fiel im Leben, weil ihnen das Licht zugewandt war und damit das Glück, auch sie finden sich in diesem Beginn der Caída, des Fallens, oder auch des Gleitens von einem Lebenszustand in den anderen.
Dieser endet in einem Moment der Nacktheit, zärtlich bedeckt von zwei Händen, nicht aus Scham, denn sanfter kann kein Kleid zu Boden gleiten, geduldiger kann kein Warten sein auf diesen Mantel, der ihre Blöße bedeckt, was für ein edler Moment, was für eine noble Geste. Was für ein Beginn.
Die Liebe. Die Reinheit. Die Unschuld.
Rocío Molina „Caída del Cielo“
Tanzhaus nrw, 20.04.2019
Fotos: Albrecht Korff
Text: Susanne Zellinger