Ana Morales wurde in Barcelona geboren und ist für viele eine der begabtesten jungen Tänzerinnen im aktuellen Flamenco. Sie begann ihre Karriere in der Kompanie von El Pipa, tanzte mit Javier Latorre, Andrés Marín und Javier Barón und war Solotänzerin im Ballet flamenco de Andalucía unter der Leitung von Rafaela Carrasco. Ihre eigenwilligen Solostücke wie reciclARTE oder Una Mirada Lenta waren sehr erfolgreich und David Coria kommt in fast keinem seiner Stücke ohne sie aus. Obwohl mit einer charakteristischen traditionellen Ästhetik ausgezeichnet, wagt sie sich immer wieder in neue Gefilde wie bei ihrem kleinen aber reizenden Stückchen Bagatelles mit dem Sound Artist Enrique Tomás.
Davor: In ihrem neuesten Projekt beschäftigt sie sich mit einem Teil ihrer eigenen Geschichte, im Baukastenprinzip erarbeitet sie es in vier Residenzen, die Premiere wird dieses Jahr bei der Bienal de Sevilla stattfinden.
Danach: Bei der Bienal de Sevilla wurde Ana Morales mit dem Giraldillo als beste Tänzerin ausgezeichnet, beim Festival de Jerez bekam Canito den „Premio Guitarra con Alma“. Am 12. und am 13. April werden sie mit „Sin permiso“ im Tanzhaus nrw beim Flamencofestival zu sehen sein.
Ana, wie kam es denn zu dem Titel Sin Permiso – Canciones para el silencio?
Eines Tages kam ein Onkel meines Vaters zu uns nachhause – übrigens kurz bevor er Selbstmord beging – und in der Hand hatte er ein kleines Büchlein – mit Erinnerungen an die Familie und an meinen Vater und er gab es meiner älteren Schwester. Mein Vater gab uns jedoch nicht die Erlaubnis es zu lesen, also bewahrte meine Schwester es auf. Einige Jahre nachdem mein Vater gestorben war, fühlte ich das intensive Verlangen danach, mehr über ihn zu erfahren. Mein Vater war sehr speziell, die Kommunikation mit ihm schwierig. Er war als Kind verlassen worden, konnte nicht lesen und schreiben und erzählte nichts, weder über sich noch über seine Familie. Das war so, als ob um ihn herum eine große Leere wäre, da war nichts, so, als ob er nichts hinterlassen hätte, also beschloss ich eines Tages, diesem männlichen Teil in mir durch meinen Tanz eine Sprache zu verleihen. Ich fragte also meine Schwester, ob ich das Buch lesen dürfe und sie gab mir die Erlaubnis. Daher kommt der Titel „Sin Permiso. Canciones para el silencio“.
Was er nämlich doch mit uns geteilt hatte, war seine Musik, der Flamenco. Der Sonntag war immer der Tag, an dem er seinen Schrank öffnete und die Platten herausholte, La Paquera, Fernanda und Bernarda de Utrera, er hörte auch Aretha Franklin und Ray Charles, aber vor allem Flamenco und ich beschloss mich an ihn zu erinnern, indem ich einige der Stücke tanze, die ich mit ihm gehört hatte.
Die Form in der du dir das Stück erarbeitest, in vier Residenzen, ist ja sehr außergewöhnlich, zumindest im Flamenco. Wie kam es dazu?
Das hat sich eigentlich zufällig ergeben. Cristóbal Ortega, der Leiter der letzten Bienal in Sevilla, hatte mir das Teatro Lope de Vega angeboten um mein neues Stück zu präsentieren. Dann wurde er abgesetzt und plötzlich hing alles in der Luft. Ich fragte Isamay Benavente vom Festival de Jerez, aber die hatte die Planung schon abgeschlossen, hatte aber Lust, mich durch eine Residenz zu unterstützen, etwas Unübliches in Jerez. Sie sprach mit Miguel Marín vom Londoner Festival, Tomás vom Festival de Danza in Almería stimmte auch zu und Dorothee Schackow vom tanzhaus nrw auch.
Für mich ist das eine großartige Möglichkeit, die ich noch nie hatte. Die Residenzen geben mir die Chance, etwas auszuprobieren und nach jeder Residenz den erarbeiteten Teil einem Publikum zu zeigen und zu sehen, wie es reagiert, das ist so ein Luxus!
Du arbeitest mit einem Regisseur, war er von Anfang an dabei?
Er heißt Guillermo Weickert, stammt aus Huelva, sein Vater ist Deutscher, und ja, er war schon in London dabei, ich kannte seine Arbeit schon und ich mochte es sehr, wie er die Botschaft rüber bringt. In London war unser Thema „Das Schweigen und der Schwindel“, nach dem Tod meines Vaters hatte ich Schwindelanfälle und manchmal ein wenig Platzangst. Das brachte ich in Verbindung mit diesem schrecklichen Schweigen, das ihn umgab, er hatte auch viele Ängste, wenn es um Konfrontationen ging, oder darum sich dem Leben zu stellen.
Wir machten in London vier kleine Stücke zu diesem Thema mit dem Musiker Savio Janiac, er arbeitet oft über das Thema, was die Musik in uns bewirkt und welche Reaktionen sie hervorruft, das ist ja bei jedem anders, er beschäftigt sich auch mit der Heilkraft der Musik und half mir dabei, mich von bestimmten Flamenco-Codes zu befreien.
In Jerez gab es dann einen zweiten Tänzer in diesem wunderbaren Pas de Deux…
Ja, das war José Manuel Álvarez aus Barcelona, das war ein getanztes Gespräch mit jemandem, den du bedingungslos liebst, wie deinen Vater eben, aber es dir unmöglich ist, dich mit ihm zu verständigen. Das ist sehr schmerzlich, du wünscht dir so sehr, dass er dich versteht, aber es gelingt dir nicht. Und er möchte es ebenso und versteht nicht, wieso es nicht funktioniert, obwohl da eine tiefe Verbindung besteht. Das habe ich mit meinem Vater erlebt, aber auch mit anderen Männern in meinem Leben.
Auch musikalisch gibt es da eine Referenz an deinen Vater, nicht wahr?
Die Serrana von Pepe de la Matrona, die hörte ich immer mit meinem Vater, interpretiert von Enrique Morente und Rafael Riqueni. In Jerez sang die Juan José Amador und er begleitete sich selbst auf der Gitarre, weil Cano keine Zeit hatte, aber das gefiel mir dann so gut, dass es gar nichts ausmachte. In Jerez war mir aber auch das körperliche wichtig, der Mantel, den mein Vater trug und der Duft nach seinem Rasierwasser, diese einfachen Dinge.
Hier in Düsseldorf bei deiner dritten Residenz wird es komplexer, da arbeitest du mit Worten.
Ja, mit meinen eigenen Texten, ich habe schon als Kind gern geschrieben, aber natürlich nicht vorgelesen, das ist ja immer peinlich. Guillermo hat mir diese Angst genommen und den Text auf das wesentliche reduziert, das heißt, es bleiben nur die Wörter übrig, die meinen Vater am besten beschreiben, wie die Substantive Erinnerung – Stille – Angst oder bestimmte Adjektive, die Essenz seines Seins.
Die beiden Musiker, die hier dabei sind, liegen dir sehr, oder?
Michio ist unglaublich musikalisch, egal ob er Gitarre spielt oder elektronisch arbeitet, er setzt das so gut um, was ich ausdrücken möchte und mit Cano harmoniere ich auch sehr. Die Petenera ist eine ältere Komposition von ihm, die wir hier auseinander nehmen und wieder neu zusammen setzen. Bei manchen Stücken ist es einfach schade, wenn sie nur einmal gespielt werden und dann in Vergessenheit geraten. Die Petenera verwenden wir hier im Moment der Angst, wie ein Symbol. Mein Vater ist an Nierenversagen gestorben. Jedes Organ im Körper hängt auch mit einem gefühlsmäßigen Zustand zusammen und die Nieren sind der Sitz der Angst. Das war für ihn sehr charakteristisch, die Angst, sich etwas entgegen zu stellen, er ließ die Dinge einfach passieren. Im Gegensatz zu meiner Mutter übrigens. Sie stellt sich den Problemen um sie zu überwinden.
Was wird bei der vierten Residenz in Almería passieren? Hast du schon einen Plan?
Noch nicht genau, José Manuel Álvarez wird wieder dabei sein, ein Musiker und David Coria wird uns bei der Choreografie helfen. Wir sind gerade dabei, alles genau zu definieren. Im Juli wissen wir dann mehr. Der Titel wird sein Palabras Danzadas, Getanzte Wörter, wir möchten gerne Sätze aus den Liedern nehmen, die mein Vater am liebsten hörte.
Titelfoto: Pedido, weitere Fotos von Oscar Romero und Albrecht Korff