Das letzte Wochenende der von Ernestina van der Noort kreierten Streaming Biennale bescherte den Aficionad@s zwei spannende Flamencoabende, die wir zwar auf dem Sofa aber dennoch so nahe wie seit Monaten nicht am zeitgenössischen Flamenco verbrachten. Neben den Künstler/innen war Filmemacher, Kameramann und Toningenieur Felix Vázquez einer der Protagonisten. Ein Interview mit dem Multitalent lesen Sie hier. Aber nun zu Rocío Molina:
Wenn Rocío Molina einlädt, ist es immer ein spezielles Erlebnis. Es ist so, als ob man zu einem Dinner eingeladen würde, bei dem man nicht genau weiß, was einen erwartet. Man weiß nicht, ob man im Trainingsanzug oder in der Abendrobe hingehen soll, ob es einen Burger oder Kaviar gibt, ob es draußen oder drinnen stattfinden wird, ob die Sonne scheint oder man sich besser auf ein Unwetter vorbereitet.
Offensichtlich hat sie mit „Caída del Cielo“ eine Etappe beendet, sowohl künstlerisch als auch privat. Im Künstlergespräch nach der Präsentation von „El aire mueve“ bestätigt sie diese Tatsache, sie fühle sich wie ein Samenkorn in der Erde, das seine kleinen Triebe wie Fühler aus der Erde streckt um Neues zu erkunden. Klein, verwundbar, zerbrechlich und ungeschützt fühle sie sich, bereit vieles hinter sich zu lassen, was schwer war, ein Rückzug um sich zu schützen aber auch ein Schritt in eine neue Richtung.
Was bei der Bienal de Sevilla begonnen hat, setzt sie hier bei dieser Weltpremiere für die Flamencobiennale NL in der „Aceitera“ in Bollullos de la Mitación fort. Ihrem Rückzugsort und kreativem Zentrum im Nirgendwo, der ihr Ruhe gibt und neue Ideen entstehen lässt.
Ein Spaziergang mit drei Gitarristen, die in ihrem künstlerischen Leben eine Rolle spielten, und bei dem jeder von ihnen andere Facetten ihres Tanzes zum Vorschein bringt.
Am überraschendsten war wahrscheinlich die Farruca zu Beginn mit dem großartigen Eduardo Trassierra, bei der man am deutlichsten sah, was an ihr so fasziniert: einerseits dieser kleine, kontrollierte Körper, diese Strenge in der Genauigkeit von jedem Teil ihrer Physis, die Kraft ihres Zapateados auf dem alten Fliesenboden und diese klirrende Klarheit ihrer Bewegungen. Und andererseits die Biegsamkeit und Sanftheit ihres Körpers, dem die Luft auszuweichen scheint, wenn sie mit ihren Händen den Wind zu Boden drückt wie die Schwingen eines großen Vogels beim Flügelschlagen.
Mit Yerai Cortés macht sie eine kleine, leichte Reise nach Cádiz, fröhlich und verspielt. Und Yerai macht es ihr leicht, seine Akkorde sind wie kleine Steinchen, denen sie leichtfüßig ausweicht, wie zwei Kinder werfen sie einander den Ball zu und wenn der eine ihn nicht fängt, laufen sie hinterher.
Wenn es dann Abend wird, schließt sie die Fensterläden, das Licht wird gelb, sie löst ihren strengen Zopf und begibt sich in die Hände von Rafael Rodríguez und seiner meisterhaften Zambra. Ihr Kleid ist weiß und sie selbst weit weg. Wie in Trance tanzt sie mit unsichtbaren Schleiern, sie wiegt ihre Hüften und dreht sich wie ein Derwisch, verrückt und entrückt, verzaubert und bezaubernd, einfach großartig.
Dann geht sie hinaus aufs Feld, zwischen die Olivenbäume und hier fängt Félix Vázquez mit seiner Kameraarbeit vieles ein, was nicht gesagt wurde und nur ein hervorragender Filmemacher zustande bringt: da ist die Freiheit und die Einsamkeit, die Luft und die Erde, die Frau und die Künstlerin, der Traum und die Realität.
Fotos: María Agar
Text: Susanne Zellinger