Die Anfänge

Pablo Martín Caminero wurde 1974 in Vitoria Gasteiz im Baskenland geboren, nicht in einer Familie von Musikern. Zu Hause hörten sie vor allem klassische Musik, zum Beispiel Tschaikowsky, und auf Familienausflügen hörte man im Auto „Los Romeros de la Puebla“, eine Band aus La Puebla del Río, deren Sevillanas bei jedem Dorffest rauf und runter gespielt wurden.

Pablo ging als Kind zum Musikunterricht, aber er spielte kein Instrument, sondern interessierte sich für Notenschrift. Erst mit 12 Jahren fing er an, auf der Gitarre zu klimpern und mit seinen Freunden in sogenannten Garagenbands zu spielen. Er brachte sich selbst den E-Bass bei, stieg aber bald auf den Kontrabass um und ging für fünf Jahre nach Wien, um bei Herbert Mayr an der Universität für Musik und darstellende Kunst zu studieren. Tagsüber war er, wie er sagt, ein braver Student und spielte in verschiedenen Orchestern, die Nächte verbringt er bei diversen Jam-Sessions in der lebendigen Wiener Jazz-Szene.

Madrid calling

Nach dem Studium ging er nach Madrid und widmete sich von da an ganz der Musik: als Musiker, Komponist und auch als Produzent. Sein Lieblingsspielzeug ist sein neuer Mac und das Programm Logic Audio, mit dem er alles aufnimmt, was sich bewegt und einen Ton produziert.

Er probiert alles aus, ist fasziniert von Miles Davis und John Coltrane, deren Musik er als authentisch und von innen kommend empfindet, nicht so angepasst wie viele der heutigen Jazzmusiker, bei deren Aufnahmen es schwer zu unterscheiden ist, was manipuliert wurde und was nicht. Damals war alles echt.

Seine Eintrittskarte in die Flamenco-Welt war ein Glücksfall, sagt er, denn anfangs kannte man ihn nur als „den, der mit Gerardo Núñez spielt“. Viele Jahre lang arbeitete er mit Gerardo und El Cepillo zusammen, das Trio war ständig auf Tournee und das Leben mit den Flamencos war aufregend und unterhaltsam. Er lernte viele der großen Flamenco-Musiker kennen und, was noch wichtiger war, sie alle kannten ihn.

Seitdem hat ihn der Flamenco nicht mehr losgelassen, er hat in den verschiedensten Produktionen mitgespielt, eine der schönsten war sicherlich „Afectos“ mit Rocío Molina und La Tremendita, ein intimes Kammerspiel, das unglaublich erfolgreich war und das ihm endlich erlaubte, allein mit seinem Kontrabass zu glänzen.

Er ist ein sehr vielseitiger Musiker, komponierte für Werbespots, schuf Soundtracks für Spielfilme, arbeitet mit zeitgenössischen Tänzern und kreierte ein Stück für das Ballet Nacional.

Das Interview

Als Jazzmusiker spielt er in den unterschiedlichsten Formationen. Am 30. Januar präsentiert er mit seinem Trio die neue CD „Al Toque“ per Live-Streaming auf der Flamencobiennale NL. Die Kritik des Konzerts finden Sie hier.

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Zu Beginn der Pandemie schienen Sie recht glücklich zu sein, Sie hatten Zeit, Sie konnten sich auf Ihre Arbeit konzentrieren, hat sich das seitdem geändert?

 Der Lockdown war für fast alle ein ziemliches Drama, denke ich. Ich persönlich habe versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Zum Glück wohne ich nicht in der Stadt und bin von Bäumen und einer schönen Landschaft umgeben, das hilft natürlich.

Eine gute Sache für mich am Lockdown war, zu erkennen, wie verrückt mein Leben war in Bezug auf den ständigen Druck ( ein angenehmer Druck allerdings) des Reisens, des Versuchs, bei jedem Konzert mein Bestes zu geben, der Suche nach neuen Wegen in meiner musikalischen Reise… die Tatsache, in den kommenden Monaten keine unmittelbaren Verpflichtungen zu haben, hat mich psychologisch entspannt und meine Sicht auf das Leben im Allgemeinen verändert.

Ich fühle ich mich entspannter, wenn ich daran denke, dass meine Aktivitäten irgendwann wieder beginnen werden, und ich denke, dass ich jeden Schritt ein bisschen mehr genießen kann.

Warum haben Sie sich für ein Leben auf dem Land entschieden?

Ich habe schon seit vielen Jahren darüber nachgedacht, aufs Land zu ziehen. Ich bin in einer ländlichen Umgebung geboren und aufgewachsen und ich denke, dass ich das seither irgendwie vermisst habe.

Die Gelegenheit hat sich ergeben und ich habe sie ergriffen. Der Instinkt kann ein mächtiger Verbündeter sein, und in diesem Fall war er es. Ich habe nicht viel darüber nachgedacht und ich kann sagen, dass es die richtige Entscheidung für mich war.

Ich hatte den Eindruck, dass ich meine Zeit mehr genießen kann, wenn ich ein Projekt wie den Start in ein neues Leben in einer neuen schönen Umgebung habe. Es ist gut für meine Gesundheit, für meine Beziehungen, für mein kreatives Leben. Es ist allgemein besser.

Wo ist für Sie die Verbindung zwischen Flamenco und Jazz? Was haben sie miteinander zu tun, was macht sie geeignet für eine Verbindung?

Meiner Meinung nach hat sich der Begriff „Jazz“ weiterentwickelt und ist über das Musikgenre hinausgewachsen zu einer Spielweise, einer Denkweise über die Musik, die hauptsächlich mit Improvisation zu tun hat. Deshalb haben wir Brasil Jazz, Latin Jazz, Fusion Jazz… es ist eine Art, diese Genres aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Auch der Flamenco als Musikgenre ist sehr flexibel, wenn man seine Prinzipien einmal verstanden hat. Es gibt viele Ähnlichkeiten, sowohl historisch als auch musikalisch, zwischen Jazz (Musikgenre) und Flamenco, wie z.B. Schwarz-Weiß, Gitanos-Payos, beide kommen aus Liedern von unterdrückten Gemeinschaften (irgendwie), die Lieder werden improvisierend in vorgegebenen Strukturen begleitet…

Die Verbindung ist tief, einige von uns graben in diesen Ideen, um originelle Projekte zu entwickeln, die unsere Sichtweise und damit auch unser Glück erweitern.

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Im Flamenco gibt es einen Ausdruck, der misst, wie flamenco jemand ist, sind Sie „Muy flamenco“? Sind Sie „sehr etwas“?

In meiner Familie gibt es keine Musiker, ich bin nicht damit aufgewachsen, Camarón oder Coltrane zu hören, also bin ich wohl nicht „sehr etwas“. Vielleicht sehr neugierig, das ist sicher, und irgendwie habe ich es geschafft, meinen Lebensunterhalt mit dem Spielen von Kontrabass und dem Komponieren von Musik zu verdienen. Ja, ich bin „sehr glücklich“, oder auch ich hatte „sehr viel Glück“.

Auf Ihrer neuen CD „Al Toque“ spielen Sie mit Ihren Musikern bekannte Stücke der großen Gitarristen, wie sind Sie auf die Idee gekommen?

 Vor etwa vier Jahren habe ich Moisés P. Sánchez und Paquito González wieder zusammengebracht, um meine Stücke in einigen Konzerten zu spielen. Eines davon war beim Melilla Jazz Festival, und der Leiter des Festivals, Kiriko Gutierrez, bestand darauf, dass ich etwas mit diesem Trío machen sollte. Eine der Melodien war ein Arrangement eines Stücks von Paco de Lucía, die Saat war also gelegt.

Plötzlich, eines Tages, während des Lockdowns, hatte ich die Idee fix und fertig im Kopf. Irgendwie hatte ich schon eine ganze Weile unbewusst darüber nachgedacht. Als ich es dann vor mir sah, gab es nicht den geringsten Zweifel. Ich habe etwa zwei Wochen gebraucht, um diesen ganzen Wahnsinn umzuschreiben und zu ordnen, mit dem Gefühl, dass das Projekt Realität ist, das war ganz klar. Danach ist alles ganz natürlich verlaufen, ein paar Proben, die Aufnahmen… alles war ziemlich glatt und einfach in gewisser Weise. Das kommt nicht sehr oft vor.

Erklären Sie ein wenig die Arrangements, es ist nicht so einfach, eine Gitarre zu schlagen, oder?

Die Absicht ist natürlich nicht, die Flamenco-Gitarre zu besiegen. Die Flamenco-Gitarre ist ein Wunder der menschlichen Vorstellungskraft, es ist wirklich erstaunlich, was diese Gruppe von Menschen geschaffen hat. Meine Absicht war weniger, die Spieler zu ehren (obwohl das auch ein Grund war), sondern ihre Kompositionen zu würdigen. Ich erinnere mich immer daran, dass Manolo Sanlúcar die Flamenco-Komposition als hohe Kunst der Musik verteidigt hat, und ich stimme ihm vollkommen zu. Das sind Juwelen der Kunst, und diese Kompositionen sind nicht oft für andere musikalische Formationen außer der Gitarre adaptiert worden. Dieses Projekt hat für mich jede Zutat, um etwas Interessantes, Herausforderndes und Schönes mit meiner Zeit zu machen.

Sie kennen den Percussionisten Paquito González schon lange, improvisieren Sie manchmal bei Live-Auftritten?

Ja, das tun wir. Es gibt zwei Arten zu improvisieren, die eine ist in der gegebenen Komposition, die Melodie, mit der wir je nach Stimmung auf verschiedene Art und Weise umgehen. Die andere ist während der Soli. Wie im Jazz improvisieren wir Soli über die gegebenen harmonischen Strukturen der Stücke, da kann alles passieren…

Noch eine letzte Frage: Sie spielen auch mit Ana Morales in „La Cuerda Floja“, mit Bolita und mit Paquito González. Könnte man sagen, dass Sie mit Ihrem Kontrabass in Mode sind, oder ist es ein Instrument, das der Flamenco-Musik etwas gibt, was bisher fehlte?

Das glaube ich nicht. Ich fühle nach so vielen Jahren, dass ich zu dieser Gemeinschaft gehöre. Ich spiele mit Paco im Trio von Bolita, wir sind sehr gut befreundet, und wir kennen Ana seit vielen, vielen Jahren. Sie kam zu einem unserer Konzerte und ließ sich zu „En la cuerda floja“ inspirieren.

In gewisser Weise ist der Kontrabass dem Flamenco so nahe wegen Carles Benavent und seiner Zusammenarbeit mit Paco de Lucía. Aber ich denke, dass der Kontrabass, als akustisches Instrument sehr gut zum Flamenco passt. Jetzt müssen wir am Image des „Flamenco-Kontrabass“ arbeiten, so wie wir die „Flamenco-Gitarre“ haben, mit ihrer eigenen Persönlichkeit. Wie die Flöte von Jorge Pardo, die eine „Flamenco-Flöte“ ist und deren Gesang viele Menschen animiert hat, dem gleichen Weg zu folgen. Vielleicht kann ich eines Tages auftreten unter dem Titel „Al toque“: Pablo Martín Caminero“ und spiele meinen Kontrabass. Wer weiß…

Fotos: Simone Fratini

Text: Susanne Zellinger