Seit 2006 gibt es die Flamencobiennale in Holland und nach einigen pandemiebedingten dunklen Jahren hatte ich wieder das Glück ein Wochenende in Amsterdam dabei zu sein. Das Aufregende an diesem Festival sind noch immer die gewagten Kombinationen aus traditionellen und zeitgenössischen Performances aus Cante jondo und elektronischer Musik, aus importierten Konzerten allerhöchster Qualität und spannenden Eigenproduktionen.
Die künstlerische Leiterin Ernestina van de Noort hat Visionen und innovative Ideen, sie ist mutig und risikofreudig, hat aber alles unter Kontrolle. Beweis dafür sind unter anderem die vier ausverkauften Vorstellungen am Eröffnungswochenende.
In Holland gibt es viele Aficionados, das heißt, Leute, die den Flamenco nicht nur mögen, sondern auch etwas davon verstehen. Am Deutlichsten merkt man das immer bei den traditionellen Shows wie in diesem Fall bei dem neuen Vorzeige – Gitano – Duo Israel Fernández und Diego del Morao, Sohn von Moraíto und damit ein Garant für das Soniquete aus Jerez de la Frontera. Außerdem hatten sie noch einen jungen Cantaor, Pedro Montoya Junquera ‚Chanquita‘ dabei, den ich vor kurzem schon in der Peña in Jerez gehört hatte und der mir da schon sehr gut gefiel.
Wer aber den Saal zum Kochen brachte war wieder einmal Juana la del Pipa. Mit ihrer rauen Stimme und ihrem selbstbewußten Auftreten versetzte sie das begeisterte Publikum kurzzeitig in Euphorie. Nach ihr hatte Israel Fernández es gar nicht so leicht an die Euphorie anzuschließen, aber er ist ein hervorragender Sänger und am Ende war das Publikum im ausverkauften Saal des Muziekgebou so begeistert, dass sie an das erste Fin de Fiesta gleich noch ein zweites anhängen mussten.
Wie bei allen anderen Vorstellungen gab es Standing Ovations, ein Zeichen dafür, dass trotz der total verschiedenen Angebote die Qualität wieder einmal stimmte. Auch die Kombination stimmte, dafür hat Ernestina van der Noort einfach ein Talent. Das ist nämlich gar nicht so einfach, wie man zum beispiel bei der letzten Bienal de Sevilla sehen konnte, wo das nicht sehr gut funktionierte.
Die zeitgenössische Inszenierung von “La Reina del Metal” mit Vanesa Aibar und dem Perkussionisten Enric Montfort schlug ein wie eine Bombe und zeigte, dass es sich lohnt, sich aus dem Fenster zu lehnen, aber nur, wenn man gut vorbereitet ist. Eigentlich ist “La Reina del Metal” perfekt, genauso wie die Protagonistin. Sie ist eine hervorragende Technikerin, hat aber auch eine starke Ausstrahlung und ist wunderschön. Im Duo mit Enric Montfort bewegt sie sich in einem eigens dafür geschaffenen Raum, der zwar wie ein Käfig wirkt, aber keiner ist. Die Metallschnüre, die von der Decke hängen, grenzen von den Zuschauern ab, die an drei Seiten der Bühne sitzen und zwar ziemlich nahe.
Der Grund dafür wird klar, sobald die ersten Töne erklingen. Durch das 4D Soundsystem mit seinen 32 Lautsprechern wird das Publikum von der Musik oder dem Sound praktisch eingehüllt und auch jede Bewegung der Tänzerin wird hör – und dadurch spürbar. Enric Montfort ist ein sensibler Musiker, der von Kuhglocken über Schuhsohlen alles zum Klingen bringt und mit Vanesa großartig harmoniert.
Am dritten Abend machte ich noch eine Einführung für María Morenos neuestes Stück, das mir in Sevilla wenig gefallen hatte und das mich in Amsterdam begeisterte.
Warum? Dafür gibt es sicher mehr als einen Grund, aber erst an diesem Abend erkannte ich die Schönheit von o../o../.o/o./o. (soleá). Vielleicht hat ja auch die Einführung geholfen, die ich halten konnte, wofür sich übrigens auch viele der Zuschauer nachher bedankten, weil sich bei den zeitgenössischen Werken ja doch nicht immer alles so erschließt, wie man möchte.
Mit Sicherheit aber auch der Saal des Muziekgebouw, der für diese Art von Stücken den richtigen Rahmen bietet, die perfekte Licht- und Tonregie und die Tatsache, dass ich nicht so erschöpft war wie in Sevilla.
Ángeles Toledano, diese junge, wunderbare Sängerin aus Jaén rührte mich zu Tränen, nicht nur durch ihre Stimme, auch durch ihre Texte, die so mitten ins Herz gingen, wie diese Letra:
Desde el principio del tiempo
Y antes de que tú nacieras
Ya te estaba yo queriendo
Seit Anbeginn der Zeit
Und bevor du geboren wurdest
Habe ich dich schon geliebt
Eduardo Trassierra spielte wieder wie ein Gott, Raúl Cantizano kurbelte die Drehleier auch schon mal zur Escobilla, Manu Maseado am Cajón war perfekt und María Moreno überraschte mit ihrem Temperament und ihrer Kraft. Bezaubernd ist sie aber auch in den verinnerlichten Momenten, wenn sie einen Kimono als Mantón benützt und gleichzeitig als Bata de Cola, in ihrer Einigkeit mit den Musikern, von denen sie sagt “Ich habe keine Gruppe, ich habe eine Bande”, fasziniert verfolgt man ihre Carretilla und wenn sie sich am Ende atemlos verbeugt ist man glücklich.
Das erste Wochenende war damit zu Ende, aber was noch folgt steht dem Bisherigen in nichts nach, wie zum Beispiel die Schwestern Florencia Oz und Isadora O’Ryan mit “Antípodas”, José Manuel Álvarez und die Aurora und zum Abschluss Alfonso Losa mit „Flamenco: Espacio Abierto“, sind nur einige Highlights, natürlich gibt es auch Workshops, Masterclasses und einen Film. Das genaue Programm entnehmen Sie bitte der Webseite www.flamencobiennale.nl
Text: Susanne Zellinger
Fotos: Eric van Nieuwland, Günther Bauer