Dem ersten Mal liegt oftmals ein ganz besonderer Zauber inne. So war es auch beim 1. Flamenco Festival im Kulturpark Traun. In dieser 24.000-Einwohner-Stadt inmitten von Oberösterreich, bislang ein weißer Fleck auf der Flamenco-Landkarte, ist es unter der Leitung von Susanne Zellinger gelungen, erstmals in Österreich ein vollwertiges Flamenco- Festival auszurichten. Und zwar mit fulminantem Erfolg.
TEXT: SARAH ESTERMANN FOTOS: FIDEL MENESES
Der Beginn des Festivals stand ganz im Zeichen der Flamenconauten, die internationale Gruppe „Al Aire“ reiste bei andalusischen Temperaturen aus Innsbruck an und streckte zuerst einmal ihre Füße ins bereit gestellte Planschbecken der DH5 in der Linzer Innenstadt und plantschte – natürlich – im Compás, bis der Schatten sich gnädig über die Location senkte und die Vorstellung beginnen konnte. Der österreichische Gitarrist Peter Nagelschmiedt, der Bulgare Sani Kunchev an der Perkussion, die junge Tänzerin aus Granada Maryem Torres und zwei Palmeros heizten dem Publikum noch mehr ein und zeigten ein frisches, schönes Programm, das perfekt auf die Woche einstimmte.
Am Montag ging es weiter mit einem Tanzworkshop für „Absolute Beginners“, bei dem sich mehr als 20 Teilnehmer/-innen mächtig ins Zeug legten und den Wunsch deponierten, dass es weiter gehen möge, aber dieser Wunsch sollte in den nächsten Tagen noch öfter laut werden.
Dienstag war Ruhetag, der Film „La Chana“ begeisterte wie gewohnt alle Kinobesucher, dann gingen alle nachhause um Kräfte für den Rest der Woche zu sparen.
Am Mittwoch wurde das Festival durch den Besuch von Silvia Cruz Lapeña beehrt und die Ausnahmejournalistin kam nicht mit leeren Händen. In der voll besetzten Vinothek „divino“ stellte sie ihr Buch „Crónica jonda“ vor und schwang am Ende sogar das Tanzbein, denn es gab natürlich auch Livemusik. Die beiden Gitarristen Martin Mayer und Bruno Chmel, der für die ANDA immer seine ausgezeichneten CD-Vorstellungen liefert und die junge Sängerin Anjanita schafften es tatsächlich, ohne Mikro zu singen und das im vollbesetzten Lokal.
Am Donnerstag übersiedelte die Community dann in den Kultur.Park.Traun. Eine großartige Location 10 km von Linz entfernt am Rande einer Stadt mit 24.000 Einwohnern, bestehend aus dem Schloss Traun, einem Renaissance-Schloss, das auf den Ruinen einer Burg aus dem 12. Jahrhundert erbaut wurde und heute für kulturelle Veranstaltungen genützt wird, in dem aber auch die Musikschule der Stadt Räume angemietet hat, die regelmäßig das Haus mit Leben erfüllen. Ein bezaubernder Ort, der durch den Neubau der Spinnerei im Schlosspark noch mehr aufgewertet wurde.
Am Donnerstag wurde dann das Festivalwochenende eröffnet und zwar mit der Ausstellung „Gira Faro“ von Fidel Meneses, dem neuen Meister der Flamencofotografie. Gezeigt wurden großformatige Bilder der Tour von Eduardo Guerrero, die zuletzt in Düsseldorf zu sehen waren.
Angereist war aus Wien die Kulturbeauftragte der spanischen Botschaft, die dankenswerterweise den Konzertabend im Schönberg-Saal des Schlosses gesponsert hatte, ein Geschenk, das die Zuschauer im vollbesetzten Saal mit lang anhaltendem Applaus würdigten: José María Gallardo del Rey und Miguel Ángel Cortés präsentierten ihre CD „Lo Cortés no quita Lo Gallardo“. Ausgezeichnet mit dem Premio Nacional de la Crítica „Flamenco Hoy“ als bestes Gitarrenalbum bedeutet der Titel eigentlich, dass die klassische Gitarre die Flamencogitarre nicht eliminiert, sondern sie bereichert, das gleiche gilt natürlich umgekehrt.
Die klassischen Stücke wurden „flamencoisiert“, die Flamencostücke etwas klassischer angehaucht. Durch das meisterhafte Spiel war das Publikum von Beginn an begeistert, die Euphorie setzte dann aber endgültig ein mit der Interpretation der „Amargura“, einem Marsch aus den Prozessionen der Semana Santa. Da wurde sogar die eine oder andere Träne vergossen, ob der Schönheit der Darbietung. Ein großartiger Abend von zwei außergewöhnlichen Musikern.
Am ersten der beiden Tanzabende steht dann Mercedes Ruiz mit „Baile de palabra“ auf dem Programm. Begleitet wird die junge Tänzerin aus Jerez von dem Ausnahmegitarristen Santiago Lara, der auch die musikalische Leitung der Show innehatte, und dem anbetungswürdigen Sänger David Lagos, alle beide ebenfalls aus Jerez.
„Baile de palabra“ ist also ein Stück in der kleinstmöglichen Formation: Tanz, Gesang und Gitarre. Kein weiteres Instrument, keine Palmeros, die für die „Jaleos“ sorgen. Eine Formation in der man sich, so Ruiz im anschließenden Publikumsgespräch, wie nackt fühlt. Dennoch gelingt es, die Spannung über eineinhalb Stunden aufrecht zu erhalten.
Mercedes Ruiz erweist sich einmal mehr als überaus elegante Tänzerin. Ihr Tanz ist makellos, was sich nicht zuletzt in ihrer absolut perfekten Beherrschung von Bata de Cola und Kastagnetten zeigt. Gleichzeitig sind ihre Bewegungen voll von Sinnlichkeit und Freude, mit einer „Chispita jerezana“, dem jerezanischen Fünkchen, das sich die Tänzerin behalten hat.
Die Transformation, die Mercedes Ruiz während der Show durchläuft, ist bemerkenswert: Zu Beginn im lieblichen Blümchenkleid, wirkt sie im zweiten Teil des Stückes, in weißem Kleid mit Bata de Cola und weißem Mantón beinahe wie ein weißer Schwan. Ein weißer Schwan, der sich wiederum im nächsten Teil in einen schwarzen Schwan verwandelt, Mercedes in einem wunderschönen schwarzen Seidenkleid ebenfalls mit Bata de Cola. Im letzten Teil hat die Tänzerin im wahrsten Sinne des Wortes „die Hosen an“. Sie erscheint noch kraftvoller als zuvor und wird schließlich für ihren Auftritt mit frenetischem Applaus vom Publikum belohnt.
Natürlich: Der Tanz ist ein Ausdruck, den man in jeder Sprache versteht. Umso bemerkenswerter erscheint es, dass das Publikum auf den Gesang von David Lagos mit so großer Begeisterung reagiert. Der Perfektionist Lagos hatte an den Höhepunkten der Show einen wesentlichen Anteil, mit seinen Pregones ebenso wie mit seiner Gänsehaut-Petenera.
Nach der Vorstellung wanderten die Blicke zu den großformatigen Bildern an den Seitenwänden: Der Linzer Künstler Matthias Claudius Aigner hatte während der Vorstellung Momente mit seinem Pinsel festgehalten, die beim nächsten Festival Teil einer Ausstellung werden sollen.
Für den zweiten Tanzabend wird der Shootingstar der jungen Flamencoszene, Eduardo Guerrero mit seinem Stück „Desplante“ erwartet. Der junge Sänger Manuel Soto und der Gitarrist Javier Ibáñez begleiten den Tänzer aus Cádiz.
Gleich der erste Auftritt ist eine Herausforderung für das zum Teil Flamenco-unerfahrene Publikum: ein Mann mit roten Schuhen, welche unweigerlich an die Zauberschuhe der Dorothy aus Wizard of Oz erinnern, die langen Haare hochgebunden, Tanktop und kurze Hosen. Aber das Publikum lässt sich auf das Abenteuer ein und wird dafür reich belohnt.
Wie gelingt es, sich in einer Tänzergeneration, in der technische Perfektion beinahe schon selbstverständlich ist, von den anderen abzuheben? Eduardo Guerrero kennt die Antwort: mit Charisma. Ob in der geblümten Bluse mit einem Hauch von Homoerotik oder als strenger Krieger, er erobert sein Publikum im Sturm. Ja, Eduardo Guerrero ist ein Künstler, der es versteht, sein Publikum in Ekstase zu versetzen. Immer wieder springen die Zuschauer auf, jubeln, kreischen, manche weinen sogar.
Die fantastische Stimmung setzt sich nach der Show fort. Man versammelt sich unter dem lauen Frühsommerhimmel im Schlosspark zum Meet and Greet und Eduardo lässt sich geduldig ein ums andere Mal ablichten. Plötzlich teilt sich die Menge, der Sänger Manu Soto stimmt „Sevillanas“ an. Und Edu, der eben noch über die Bühne gefegt ist, tanzt die erste Copla gemeinsam mit der unvergleichlichen Journalistin und Autorin Silvia Cruz Lapeña. ¡Olé!
Am Ende des Abends ist „Tiriti Traun!“ zu einem geflügelten Wort geworden, und wird noch lange an einen unvergesslichen Abend erinnern, an dem jeder spüren konnte, was Flamenco wirklich bedeutet.
Erschienen in ANDA 139