Unglaublich spannend ist es gerade beim Festival de Jerez. Man könnte sich natürlich über die Programmgestaltung beschweren wegen der qualitativen Schwankungen, was ich aber nicht vorhabe, weil ich von der Vielfalt begeistert bin. Gerade in den letzten beiden Tagen war hier einiges davon zu sehen, was der Flamencotanz aktuell zu bieten hat, auch wenn eine Vertreterin des modernen oder absolut zeitgenössischen Tanzes fehlte. Dass es vier Frauen waren, die hier auftraten, war Zufall denke ich, um die Frauenquote mache ich mir im Tanz keine Sorgen. Im Cante sieht es da schon anders aus.
Bei allen vier Abenden waren die Stimmen so im Vordergrund, dass sie zeitweise die Tänzerin in den Schatten stellten wie gestern Abend bei La Lupi, die vom stimmgewaltigen Alfredo Tejada praktisch unsichtbar gemacht wurde.
Um gleich bei La Lupi zu bleiben: ich bewundere ihren Mut. In ihrem neuesten Stück „Lenguaje Oculto“ begab sie sich in die Hände von Regisseur Juan Dolores Caballero, bekannt durch seine Arbeit mit Patricia Guerrero, der ihr offensichtlich jede Art von Pathos verboten hat. Einerseits gut, andererseits nimmt er La Lupi damit einen wichtigen Teil ihrer Persönlichkeit, der aber ihr Charisma ausmacht und ihre direkte Verbindung zum Publikum ermöglicht.
Dennoch kann ich verstehen, dass sie Lust hatte, etwas Neues zu probieren und es gab auch durchaus schöne Szenen, es durfte sogar gelacht werden, die lebendige Bata de Cola war wirklich großartig. Schönes Bühnenbild mit Anleihen an Pina Bausch und ein gelungener Schluss versöhnten mit unverständlichen Botschaften.
Im übrigen finde ich Geigen sollten im Flamenco von der Bühne verbannt werden.
Am gleichen Abend gab es davor ein Abenteuer mit den Frauen des Don Quijote in der Sala Compañía.
In der Choreografie von Javier Latorre versuchte Noelia Sabarea eine Hommage an die weiblichen Hauptfiguren des Ritters von der traurigen Gestalt, die aber leider vollkommen misslang, ich möchte hier nicht ins Detail gehen, aber irgend jemand sollte auch die Kostüme kontrollieren, was in dem Fall bedeutet hätte, dass ein Hütchen mit Federn überhaupt nicht geht. Auch bei dem Osterhasen mit den wippenden Ohren ( zumindest sah es von der Ferne so aus ), der an der Hüfte steckte, hätte ein Veto eingelegt werden müssen. Erholsam waren die tänzerischen Zwischeneinlagen von Alejandro Rodríguez, Tänzer aus Córdoba, klassisch und mit Musik von Vivaldi.
Für eine Überraschung sorgte Hiniesta Cortés mit ihrem traditionellen, ehrlichen und authentischem Tanzabend in der Sala Paúl. Wieder mit drei männlichen Stimmen der Sonderklasse, El Londro, El Galli und Miguel Lavi, die sie in einer Weise unterstützten, die mich zu Tränen rührte, denn genauso soll es sein: diese Verdichtung, wenn sich plötzlich alle zu einem kleine Grüppchen zusammenschieben, um die Tänzerin durch den Palo zu tragen, geht davon eine wunderbare Energie aus und das einstimmige ¡Olé! Ist dann der Lohn.
Nicht dass Hiniesta das nötig hätte, sie geht durchaus alleine, aber sie weiß, was „Bailar al cante“ heißt, und schenkte uns einen großartigen Abend. Über Rafael Rodríguez an der Gitarre sage ich lieber nichts, der ist für meine Worte eine Nummer zu groß. Was für ein Meister!
Mercedes de Córdoba ist eine eigenwillige Tänzerin mit einer sehr individuellen Sprache. Auch in ihrem Stück geht es um manchmal sehr intime Teile ihres Lebens, die sich nicht immer erschließen, aber das kennen wir ja aus dem zeitgenössischen Tanz. Es gab schöne Momente, besonders in Vereinigung mit Juan Campallo, der wie immer sehr präsent war und einprägsame Melodien aus seiner Gitarre zauberte. Was irritierend war und sich mir in keinster Weise erschloss, war das riesige Kreuz, das unheildrohend über dem ganzen Sszenarium hing. Es sei nicht religiös zu deuten, erfuhr ich, das Kreuz von diesem Hintergrund zu lösen, war mir dennoch nicht möglich.
Fotos: Javier Fergo