Eine Bilanz spricht ja meistens nur von Zahlen, aber darauf habe ich keine Lust.
Das Festival de Jerez ist zu Ende und was bleibt sind Erinnerungen an zwei Wochen voll von Eindrücken, die für eine Weile in Erinnerung bleiben werden und dann verblassen. Großartige Tanzerlebnisse, auch manche weniger schöne, die sind aber in der Minderheit. Wieder einmal zeigte sich, wie reich diese Kunstform ist, von den traditionellsten Stücken bis zur Avantgarde.
Die Stimmung war gut, die Nächte lang und die Begegnungen mit Künstlern, Programmschaffenden aus aller Welt und Kursteilnehmern interessant und unterhaltsam. Vor allem die Sängerinnen riefen Aufmerksamkeit hervor und hier vor allem die jungen. So schreibt zum Beispiel Tamara Pastora für deflamenco:
Obwohl der Cante de Atrás in der Regel von Männern bestritten wird, waren die Frauen in diesem Bereich ausgezeichnet. Um nur einige zu nennen: Sandra Carrasco, Ángeles Toledano, Gema Caballero, Amparo Lagares, May Fernández und Eva la Lebri, die uns allesamt Momente von echter Schönheit bescherten; eine besondere Erwähnung verdient Ángeles Toledano, die nicht nur mit María Terremoto zu Eduardo Guerrero sang, sondern auch María Moreno mit einer großartigen Soleá voller Ecken und Kanten begleitete. Oder eine brillante Gema Caballero, die das Gleiche für Sara Calero oder Rafaela Carrasco tat.
Einer, der wieder alle verzauberte, war Pepe de Pura:
Ein Geschenk waren auch manche Sänger, wie zum Beispiel Pepe de Pura, begehrt wie immer, der Águeda Saavedras Haar in ‚Venero‘ mit einer Süße flechtete, die wir uns selbst wünschen würden. Andeutungsweise kommentierte sein Techniker Jorge Limosnita, dass es beim Flechten nichts gab, was man ihm zeigen hätte müssen. De Pura wusste es schon vorher, denn er hatte seiner Mutter schon als Kind einen Zopf geflochten. So einfach, so großherzig.
Über die professionellen Meckeranten schreibt sie:
Trotz einiger Unzulänglichkeiten (räumlich und anderweitig) und einiger wütender Beiträge, die manchmal die Netzwerke überschwemmen, ist es an sich schon ein Spektakel, das Teatro Villamarta praktisch jeden Abend bis auf den letzten Platz gefüllt zu sehen und die Atmosphäre seiner anderen Spielstätten zu atmen – man gelangt dorthin, indem man der Prozession folgt, weil alle an denselben Ort gehen. Die Atmosphäre der anderen Veranstaltungsorte zu atmen – zu denen man nach der Prozession gelangt, weil alle an denselben Ort gehen – ist ebenfalls ein Spektakel. Wäre es besser, wenn es mehr lokales Publikum gäbe, mehr Verbindungen mit dem lokalen Kontext? Vielleicht. Ist das die Idee? Ich glaube nicht, zumindest war es ursprünglich nicht so. Haben wir die Fähigkeit und den Willen, das zu ändern? Und vor allem: Wen interessiert das? Tamara Pastora, www.deflamenco.com
Fermín Lobatón schreibt in La Voz del Sur:
Mit diesem Festival verfügt Jerez über ein kulturelles Ereignis, das auf internationaler Ebene Maßstäbe setzt, ein einzigartiges Instrument, das andere Städte gerne hätten, das aber unseres ist, auch wenn das Modell sich seit seiner Entstehung wenig verändert hat. Aber weder Jerez noch seine Akteure können es so recht glauben, genauso wenig wie sie den Wert des Images, das es der Stadt vermittelt, mit seiner wachsenden und nicht quantifizierbaren Resonanz in den Medien, zusätzlich zu den bereits erwähnten wirtschaftlichen Auswirkungen, zu ignorieren scheinen. Im Gegenteil, es wird fast in Frage gestellt (ach, diese uralte Tendenz der Zivilisationen zur Selbstverbrennung).
Meiner bescheidenen Meinung nach ist das Festival von Jerez ein unermessliches Erbe, das diese Stadt verteidigen sollte, so wie es andere Städte mit ihrem Erbe tun. Und um es zu verteidigen, muss man es kennen – zum Beispiel durch den Besuch seiner Aufführungen -, lieben und unterstützen, vor allem durch die Behörden, die dafür verantwortlich sind. So soll es sein. Fermín Lobaton, www.lavozdelsur.es
Die Ernüchterung kam direkt nach dem Festival. Isamay Benavente, eine der intelligentesten, begabtesten und großzügigsten Menschen, die ich im Laufe der Jahre auf den vielen Festivals kennengelernt habe, verlässt Jerez und das Teatro Villamarta, das sie über 15 Jahre lang mit unglaublichem Erfolg geleitet hat. Sie geht nach Madrid ans Teatro de la Zarzuela, dessen Leitung sie als erste Frau übernehmen wird.
Was für ein Verlust. Was wird jetzt passieren? Wer wird ihr nachfolgen? Ich habe gar keine Lust, darüber nachzudenken, aber es hat mein Bild von Jerez etwas ins Wanken gebracht. Wer so jemanden gehen lässt macht einen großen Fehler. Denn ich glaube nicht, dass sie gehen wollte. Gute Nacht.
Text: Susanne Zellinger
Fotos Bar La Manzanilla: Gabriel Arango