Ich habe über federleichte Zapateados, verblüffende aha!-Erlebnisse und hysterischen Flamenco recherchiert und dafür mit Sascha Krausneker, Niurca Márquez, Belén Maya und Fernando LR Parra gesprochen.
(Foto von Nicole Wolcott)
Als im Oktober im Feldenkraisinstitut in Wien laut „por Tangos“ gesungen und getanzt wurde, war das in vielerlei Hinsicht eine Seltenheit. Nicht nur wurde dieser Ort des Lernens und Erlebens nun erstmals mit Flamenco beseelt. Es fand auch eine ganz außergewöhnliche Workshop-Kombination statt. Sascha Krausneker, Feldenkrais Practicioner und Mitbegründer des Instituts, gab vor dem Tangos-Workshop von Chloé Brûle eine Einheit speziell auf die Bedürfnisse der Flamenco-teilnehmerinnen zugeschnitten. Thema war die Hüfte, ein zentrales Element im Körper und im Tanz por Tangos.
Seine Stunde fand in einem Setting statt, das in der Feldenkrais-Sprache „Awareness through Movement“ heißt, also: das Entstehen von Bewusstheit für individuelle Bewegungsabläufe, -muster und -zusammenhänge ermöglichen durch angeleitetes Ausführen von Bewegungssequenzen. Die Übungen dieser Einheit wurden am Boden liegend, kniend und stehend erforscht und hatten im engen Sinne nichts mit Flamenco zu tun. Oder doch? Als Überleitung zum Flamencoworkshop por Tangos konnten die Teilnehmerinnen frei ihre Hüften im Tanz ausprobieren und dadurch die neu erworbene Bewusstheit im Körper integrieren.
Sascha Krausneker hat selbst mehrere Jahre als professioneller Tänzer gearbeitet, ist Judo Dan-Träger und kennt die Bedürfnisse tanzender Körper. Er sieht seine Feldenkrais-Einheiten in diesem Zusammenhang wie das Stimmen eines Instruments, des Körpers, noch bevor ein anderes Training beginnt.
Die Feldenkrais-Methode, die den Namen ihres Begründers Moshé Feldenkrais trägt, ist keine Trainings- sondern eine somatische Lernmethode, um letztendlich zu besserer Selbstwahrnehmung zu gelangen. Dabei wird eine Eigenschaft des menschlichen Gehirns ausgenützt: die Möglichkeit, ein Leben lang zu lernen, zu wachsen und sich neu zu organisieren. Die oft eindrucksvollen Effekte von Feldenkrais-Stunden sind unter anderem: Erweiterte Bewegungsspielräume, angenehmeres Atmen, optimierte Bewegungen, Schmerzfreiheit oder das Wieder-Erlernen von Bewegungen.
„Ich habe die Feldenkrais-Methode kennengelernt, als ich nach jahrelangem Körper-schädigendem Training und den Auswirkungen mehrere Autounfälle über vier Wochen lang ans Bett gebunden war“, erzählt Niurca Marquez, Flamencotänzerin und Choreographin, über ihren ersten Kontakt mit der Methode. Damals, das war 2002, tanzte sie in Miami in einer Afro-Kubanischen Tanzgruppe und einer Flamenco-Compañía und sah sich mit der Tatsache konfrontiert, nie wieder tanzen zu können.
Sie konnte nicht mehr Kastagnetten spielen, da ihre Finger taub wurden. Sie konnte sich nicht mehr drehen, da dadurch alle im Körper gespeicherten Schmerzen aktiviert wurden, „und meine Zapateados waren ein einziges Chaos, vom Umgang mit der Bata de Cola ganz zu schweigen, ich konnte sie nichtmal mehr heben“ erinnert sie sich. Mittlerweile tanzt und choreographiert sie beweglicher und persönlicher als je zuvor. „Nach zwei Monaten intensiver Arbeit in Einzelstunden – im Feldenkraisdiktus „Funktionale Integration“ genannt – und regelmässigen „Awareness through Movement“-Einheiten bemerkte ich verblüffende Veränderungen in mir“, erzählt sie. „Sechs Monate später konnte ich wieder Kastagnetten spielen und drehend durch den Raum wirbeln. Drei Jahre später konnte ich endlich wieder mit der Bata de Cola tanzen – ich dachte, das alles würde nie wieder möglich werden“.
Viele lernen die Feldenkrais-Methode kennen, weil sie auf der Suche nach Schmerzfreiheit sind. Oder weil sie sich nicht mehr frei bewegen können. Belén Maya erzählt ähnliches: „Ich hatte eine Oberschenkelzerrung, die einfach nicht zu behandeln war. Durch die Feldenkrais-Einzelstunden, die ich in Barcelona besuchte, konnte meine Zerrung nachhaltig geheilt werden und ich erlebte verblüffende Nebeneffekte in meinem Körper. Ich war mir meiner Selbst viel bewusster. Ich nahm auch meine Beine anders wahr und die Zapateados wurden leichter. Ich erlebte die Feldenkrais-Einheiten wie eine Meditation in Bewegung“.
Die Feldenkrais-Methode für die eigene Heilung zu erleben ist eine Sache, die vierjährige, sehr intensive Ausbildung zum Feldenkrais Practitioner zu absolvieren eine ganz andere. Niurca Marquez war durch ihre eigene Entwicklung so verblüfft, dass sie 2008 beschloss, tiefer in die Methode einzutauchen und selbst Feldenkrais Practitioner zu werden. Aber auch, weil sie durch ihr früheres Flamencotraining, das letztendlich auch zu ihren Verletzungen beitrug, am noch immer weit verbreiteten Unterrichtstil im Flamencotanz zu zweifeln begann, wie sie meint: „Im Rahmen meiner eigenen Heilung und Weiterentwicklung habe ich bemerkt, dass die Unterrichtsmethoden im Flamenco von vielen falschen Vorstellungen über den Körper an sich ausgehen“, erklärt sie. „Nicht absichtlich, natürlich – aber das hat sicherlich damit zu tun, dass der Flamenco noch immer hauptsächlich innerhalb eines eng umgrenzten, kulturellen Netzwerks unterrichtet wird. Moderne Zugänge zum Körper, seiner Funktionalität, dem Zusammenspiel von zum Beispiel Knochen, Muskeln und Atmung finden kaum Eingang in meist sehr alt eingesessene Unterrichtsmethoden. Je intensiver ich mit FlamencotänzerInnen arbeitete, desto mehr begriff ich, dass viele Flamenco-typische Verletzungen eine Folge davon waren, dass das Verständnis über die Funktionalität des Körpers an sich fehlte. Ich dachte, wenn ich hier weiter in die Tiefe gehe und eine profunde Ausbildung zum Feldenkrais Practitioner mache, kann ich eventuell das Flamencotraining gesünder gestalten“.
Im Laufe ihrer Ausbildung und Suche hatte Niurca Marquez mehrere aha!-Erlebnisse in Bezug auf Feldenkrais in Verbindung mit Tanz generell. Sie nahm mehrmals an den Intensivworkshops „Feldenkrais und zeitgenössicher Tanz“ teil, die am Wiener Tanzquartier und bei ImpulsTanz von Sascha Krausneker und Georg Blaschke angeboten werden. Sie erlebte dort hautnah, dass die Feldenkrais-Methode nicht nur zur Wiedererlangung von Mobilität oder Verbesserung der Funktionalität des Körpers geeignet ist, sondern großen Einfluss auf die Kreativität und den choreographischen Prozess an sich haben kann. In ihren gemeinsamen Workshops lassen Sascha Krausneker und Georg Blaschke die TeilnehmerInnen nicht nur Feldenkrais-Einheiten in einem Tanzsetting erleben, sondern geben den Raum und Vorschläge, daraus choreographische Sequenzen und Szenen der Improvisation zu entwickeln.
Was die explizite Integration der Feldenkrais-Methode in den Flamenco betrifft, musste Niurca Marquez auf ihre Neugierde vertrauen und vieles selbst erfahren, wie sie sagt. „Es gab niemanden, der mir sagte: so geht das, so passen die beiden zusammen. Ich bemerkte, dass womöglich ich diese Person werden müsste…“. Als sie durch ihre Ausbildung zum Feldenkrais Practitioner begann, selbst Einheiten von „Awareness through Movement“ (ATM) zu unterrichten, begann sie auch, diese aktiv in ihren Flamencounterricht einfließen zu lassen. „Ich unterrichte beispielsweise ganze ATM-Einheiten für FlamencotänzerInnen als gezielte Vorbereitung auf Technik- oder Bata de Cola-Stunden. Und ich lasse die Feldenkrais-Methode auch in den Flamencounterricht an sich einfließen. Ein aha!-Erlebnis hatte ich, als ich in einer Masterclass Teile einer ATM zum Thema Spiralen im Körper verwendete, um das Prinzip von Remates im Flamenco körperlich zu erarbeiten und es funktionierte plötzlich so leicht, dass ich von da an die Feldenkrais-Methode auch als choreografisches Werkzeug einsetze. Man muss sich nur vorstellen, was sich verändert, wenn man Bewegungsentscheidungen nicht deshalb trifft, weil etwas so aussehen oder klingen muss, sondern weil sie funktional richtig sind und körperlich Sinn machen“.
Auch der spanische Flamencotänzer und Philosoph, Fernando LR Parra, der unlängst den „I. Premio de Investigación en Danza de la Academia de las Artes Escenicas de Espana“ verliehen bekam, bemerkt durch die Feldenkrais-Methode eine Veränderung in seinem Tanz und seiner choreographischen Arbeit, wie er erzählt: „Für mich trägt die Feldenkrais-Methode dazu bei, mir meines Körpers, meines Seins, bewusst zu werden und dadurch auf eine andere Art präsent zu sein als sie vom Flamenco eingeübt ist. Ich empfinde den Flamenco als über-angespannt. Durch die Feldenkrais-Methode kann ich mich anders dem Flamenco nähern. Und ich kann mich auf kleine, minimale Regungen konzentrieren. Dadurch halte ich mich fern von diesen angespannten Gesten, die mir ein Gefühl von Gewalt, Exzess oder Hysterie vermitteln.“
Und wie reagieren Flamenco-SchülerInnen darauf, wenn im Unterricht von herkömmlichen, gewohnten Wegen abgebogen wird? Die Teilnehmerinnen in Wien waren allesamt verblüfft, bewegungswillig und sehr offen. Niurca Marquez beobachtet in ihren Stunden ähnliches: „die SchülerInnen sind begeistert. Feldenkrais gibt dir eine Vielzahl an Wahlmöglichkeiten – oft werden diese einem im Flamencounterricht ja komplett genommen, wenn wir zum Nachmachen und Kopieren animiert werden. Ich nenne das „Flamenco follow me“. Durch die Feldenkrais-Prinzipien kann ich den SchülerInnen unterschiedliche Wege zum Flamenco-Material zeigen und ihnen ehrlich erlauben, sich auch zu distanzieren, sich anders anzunähern oder zu verändern. Und der Effekt auf Flamencotechnik durch Feldenkrais-Einheiten ist für alle jedes Mal verblüffend. Das betrifft die Zapateados, die Drehungen, den Ausdruck und die gesamte Präsenz“.
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Der Text ist in der Flamencozeitschrift ANDA und in der Verbandszeitschrift des Feldenkraisverbands Österreich erschienen
Hier könnt ihr den Beitrag auch als pdf-file herunterladen: Feldenkrais und Flamenco (pdf)
Das Foto von Niurca Marquez hat Nicole Wolcott gemacht.