Elena Vicini: Eigentlich ist alles ganz einfach

Die Ausscheidungen des internationalen Wettbewerbs Flamenco Puro in Turin fand diesmal in Jerez statt. Zweifache Gewinnerin ist dieses mal Elena Vicini. Als Solistin aber auch als Choreografin einer bezaubernden Gruppenchoreografie der Alegría. Herzliche Gratulation und hoffentlich noch ein langes Wirken in der Schweiz und wo auch immer.

Elena Vicini ist Italienerin, Tänzerin, Choreografin und als Lehrerin eine der wichtigsten Tänzer/innen Persönlichkeiten der Schweizer Flamenco Szene. Was für eine hervorragende Maestra sie ist, bewiesen ihre Schülerinnen beim diesjährigen Festival in Zürich. Sie hatte Lust zu erzählen, also ließ ich sie. Aus dem Interview wurde der Bericht über ein interessantes Leben.

Die Anerkennung

Mónica Morra entwickelte das Konzept für den Wettbewerb, wir haben gleichzeitig in Italien die ersten Academias auf die Beine gestellt, sie in Turin und ich in Florenz. Als am Wettbewerb dann auch Ausländerinnen teilnehmen konnten, kam ich mit meinen Schülerinnen, da lebte ich schon in der Schweiz. Für sie ist das eine ungeheuer wichtige Erfahrung, es geht nicht nur darum, Preise zu gewinnen, sondern ich wollte, dass sie sich präsentieren, die Spannung spüren und Erfahrungen in einem anderen Umfeld sammeln. Als wir dann gewonnen haben, und zwar in verschiedenen Kategorien, war es natürlich umso schöner und dass wir hier in Jerez auftreten können ist ein Erfolg für sie aber auch für mich, sowohl als Lehrerin als auch als Choreografin. Es ist schön, meine Arbeit auf der Bühne zu sehen.

Der Anfang

Ich studierte klassisches Ballett in Florenz und ein Teil davon war auch Folklore, in meinem Fall russische Folklore. Aber meine Lehrerin war sehr offen und bot auch Flamenco in ihrer Schule an mit einer Tänzerin aus Murcia. Eigentlich war es mehr Danza española, aber ich lernte alle Choreografien mit der Musik aus der Kassette. Und ich dachte natürlich, dass das Stück die Soleá war. Nicht einmal sie wusste, was ein Palo war. Später dann arbeitete meine Lehrerin mit einem Pianisten und einem Cantaor gitano zusammen und nahm mich in die Tanzgruppe auf. Erst da lernte ich den Cante kennen und war sofort fasziniert. Also ging ich nach der Schule nach Spanien um mehr über den Flamenco zu erfahren und zu ergründen, was es war, das mich so sehr anzog.

Ich kam nach Madrid, ins Amor de Dios, als da María Magdalena unterrichtete, Ciro und Paco Romero, der mich in regelmäßigen Abständen aus der Stunde warf, weil ich die Drehungen nicht so machte, wie er sie wollte: „Italienerin, raus hier!“, sagte er zu mir, ich war eine der wenigen Ausländerinnen damals. Du gingst in die Stunde, hattest keine Ahnung und fragtest aber auch nicht, damit niemand merkte, dass du Ausländerin bist. Dann ging ich in den Unterricht von Ciro, ich stellte mich ganz hinten hin, machte mich unsichtbar, denn es herrschte eine strenge Hierarchie, aber Ciro sah alles und dann sagte er „Du, mach es allein!“ und wenn du es konntest, rücktest du eine Reihe vor. Da ich ein gutes Gedächtnis hatte und sehr viel übte, rückte ich bis in die erste Reihe vor und ich lernte, dass es eine Llamada gab und ein Desplante.

Zwischendurch kehrte ich immer wieder nach Italien zurück, machte Prüfungen auf der Universität und unterrichtete um Geld zu verdienen. Ich tanzte in Tablaos in Rom und Riccione und lernte viel, aber trotzdem fuhr ich immer wieder nach Madrid. Dort lernte ich die Technik und die Disziplin, die notwendig war. Ich ging auch zwischendurch nach Sevilla, zu Manolo Marín, da erfuhr ich mehr über den Cante und den dekorativen Teil, die Arme und Hände und so.

Nach und nach entwickelte sich auch in Italien eine Flamencoszene, Künstler aus Spanien kamen und schließlich gründete ich meine erste Kompanie, „La Morería“, wir übten, wo immer es möglich war und präsentierten unsere Stücke auf der Bühne. Schön langsam kannte man meinen Namen und ich trat auch in Spanien auf, gleichzeitig unterrichtete ich in Italien.

Flamencos en Route

So wurde auch Brigitta Luisa Merki auf mich aufmerksam, weil meine Schülerinnen so ein gutes Niveau hatten, sie traten auch in den Peñas in Mailand und Rovereto auf. Schließlich lud mich Brigitta zu einem Casting ein und bot mir an in ihrer Kompanie zu tanzen.

Das war vor 20 Jahren und es war der Grund, warum ich immer öfter in der Schweiz lebte, die Produktionen waren lang und verlangten intensives Training und schließlich übersiedelte ich in die Schweiz. Unsere erste Produktion war „El Canto nómada“, gefolgt von „Soleá in the wind“ und „Fragmentos“.

Ich wurde dadurch ein wenig populär und einige Mädchen, die mich tanzen sahen, fragten mich, ob ich Lust hätte sie zu unterrichten und plötzlich hatte ich eine kleine Gruppe von Schülerinnen. Mit einigen Freunden und meinem Mann renovierten wir ein Lokal in Baden, wo wir Fiestas organisierten, zu denen wir alle einluden, auch um diesen Rivalitäten auszuweichen, die es in der Flamencowelt immer gab, wir luden alle ein und so lernten sie einender kennen und alles war gut.

Eine wichtige Person in der Szene war damals Isabel Amaya, eine Tänzerin aus Cádiz, die auch in der Schweiz unterrichtete. Ich suchte ihren Kontakt, lud sie immer zu den Fiestas ein, auch mit der Idee, unsere Schulen zu vereinigen und gemeinsam aufzutreten und einfach Spaß zu haben.

Das Abenteuer Japan

Die Zeit mit den Flamencos en Route ging ihrem Ende zu und ich suchte nach neuen Ufern. Ich hatte keine Kinder, konnte auch keine bekommen, wie mein Arzt mir sagte und ich hatte Kontakt zu einem japanischen Impresario, Tetsuo, der mich zu einer Audition einlud, ich bestand vor seinen – hohen – Anforderungen und er gab mir einen Vertrag für sechs Monate. In Japan. Mein Mann war einverstanden und ich sagte zu.

Ich flog also nach Japan und ich fand es großartig, alles gefiel mir. Hier wollte ich bleiben. Seltsamerweise fühlte ich mich körperlich nicht wohl, ich befürchtete das Schlimmste, also ging ich zum Arzt. Seine Diagnose traf mich wie ein Schlag. Er sagte „Meine Dame, sie sind schwanger und zwar ziemlich!“ Natürlich freute ich mich, aber mein Japan- Abenteuer war damit beendet und ich kehrte zurück in die Schweiz.

©Javier Fergo para Festival de Jerez

Zurück in der Schweiz

Als ich zurückkam, begann für mich eine schöne Zeit und eine wichtige Rolle spielte dabei Isabel Amaya. Wir beschlossen unsere Kräfte zu vereinigen und der Flamencowelt in der Schweiz zu zeigen, was alles möglich ist, wenn wir zusammen arbeiten. Die Abschlussvorstellung am Jahresende mit den Schüler/innen ist zum Beispiel immer eine Herausforderung, auch wegen der Rivalitäten und Animositäten. Wir traten dem entgegen, indem wir die Abschlussveranstaltung gemeinsam machten und damit die Zuschauer, die kurz vor dem Ende immer schon Lust hatten sich aus dem Fenster zu stürzen, weil sie es nicht mehr ertragen konnten, fügten wir immer eine lustige Szene ein, dann entspannten sich die Leute und gingen glücklich nach Hause. Ohne Isabel Amaya wäre das alles nicht möglich gewesen, bald standen wir auch gemeinsam auf der Bühne, in einer großen Produktion, „Blanco y negro“ mit Antonio Peruja und die Zusammenarbeit funktionierte immer besser und bekam eine Eigendynamik. Ich half auch Eva Gómez bei der Abschlussveranstaltung und die Mädchen untereinander arbeiteten immer öfter zusammen und kamen drauf, dass es so viel mehr Spaß machte. Ein ganz wichtiger Faktor bei der Zusammenarbeit ist auch eine gewisse professionelle Einstellung. Da geht es auch nicht um Freundschaft sondern um Respekt, Selbsterkenntnis und eine ehrliche Selbsteinschätzung, auch um sich selbst nicht zu überfordern und dann enttäuscht zu sein, wenn es nicht funktioniert. Und ich denke, das konnte ich meinen Schülern vermitteln.

Ich stelle hohe Ansprüche und für manche Schüler/innen ist das am Anfang stressig, aber dann sehen sie, dass mein Unterricht auch lustig ist, dass wir Spaß haben, aber ich weiß, warum ich etwas verlange. Ich kann es einfach nicht ertragen, wenn dann die Spanier kommen und sagen „Na ja, das war gar nicht so schlecht!“, denn ich weiß genau, was das heißt und ich denke, dem sind wir gewachsen.

Eigentlich ist alles ganz einfach

Ich gebe alle meine Kenntnisse weiter, denn als ich angefangen habe, war das nicht so. Der Sänger sagte dir zum Beispiel, dass du etwas falsch gemacht hast, aber was, das sagte er dir nicht, aber dafür wollte er nicht mehr für dich singen.

Ich habe gelernt, den Fehler bei mir selbst zu suchen, wenn etwas auf der Bühne nicht klappt, und wenn deine Llamada nicht funktioniert, dann hast du eben nicht laut genug gerufen, wenn der Sänger dich nicht versteht, dann ist das dein Problem. Das ist so, wie wenn du mit jemandem sprichst, der oben auf der Treppe steht und du unten, wenn du zu leise sprichst, wird er dich nicht verstehen.

Oder die Bulería zum Beispiel, die musst du sehen wie eine Unterhaltung von zwei Personen, die sich zufällig auf der Straße treffen. Der Anfang ist klar, du sagst etwas und der andere antwortet dir, er erzählt dir etwas dramatisches oder etwas lustiges und je nachdem, was er dir sagt, der Sänger nämlich, reagierst du und dann musst du gehen, weil du keine Zeit mehr hast und diese Entscheidung triffst du als Tänzerin und dann gehst du und das war’s. Eigentlich ist alles ganz einfach.

TEXT: SUSANNE ZELLINGER