Der Bailaor Eduardo Guerrero (Cádiz 1983) ist einer der faszinierendsten Künstler des aktuellen Flamenco Panoramas. Er tanzte in den Kompanien von Eva Yerbabuena und Rocío Molina und erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie den „Desplante“ beim Festival in La Unión. Als Model eröffnete er die Fashionweek in Madrid und sobald er erscheint, werden die Fotoapparate gezückt. Er ist ein Paradiesvogel mit schillerndem Gefieder. Mit seinem Solostück begeistert er auf den Bühnen der Welt, bei seinem Auftritt in Jerez versetzte er das Publikum in Euphorie und es dankte mit nicht enden wollenden Ovationen. Für sein Stück „Guerrero“ wurde er beim Festival de Jerez in diesem Jahr mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.

Was siehst du, wenn du in den Spiegel schaust?

Wenn ich mich im Spiegel beobachte, suche ich immer eine bestimmte Ästhetik. Linien, die mir gefallen. Ich sehe mich nicht als Person. Ich sehe den Künstler. Ich sehe das, was man später auf der Bühne sehen wird. Der Spiegel ist sehr hilfreich, aber nicht immer. Denn wenn er weg ist, entdeckst du, dass es da auch eine andere Welt gibt, die des reinen Gefühls. Wenn du ohne Spiegel arbeitest, hast du ganz andere Empfindungen, als wenn du dich beobachtest. Ich ziehe oft den Vorhang vor, damit er verdeckt ist um meine Bewegungen zu spüren, um zu spüren, was ich fühle, wenn ich tanze, damit ich das nicht vergesse.

Du hast eine ganz besondere, sehr spezielle Ästhetik. Die Art wie du die Haare trägst, diese blauen Schuhe…

Ich bin nicht der klassische Typ. Ich hatte ja immer lange Haare und mag es gerne, wenn sie zusammen gebunden sind, beim Unterricht ist es auch praktischer, wenn ich mir einen Knoten mache. Das kommt eigentlich von Rocío Molina, die wollte immer, dass ich mir die Haare hochbinde, wegen der Ästhetik. Bei meinen Solostücken trag ich sie lieber offen, das hast du ja gesehen.

Und was die Schuhe angeht, da bin ich einfach risikofreudig, ich habe vor nichts Angst. Ich weiß, was mir gefällt und lasse mich nicht von den anderen beeinflussen. Aber das stimmt schon, meine Freunde sagen immer, dass es ganz egal ist, was ich anziehe, es sieht immer gut aus.

Bei meiner ersten reise nach Japan verliebte ich mich in die Japaner, unter anderem, weil sie alle Taschen trugen. Ich fand das großartig und bin seitdem immer mit der großen Tasche unterwegs. Und inzwischen ist es eine Mode geworden. Diese Dinge fallen mir einfach auf und wenn sie mir gefallen, dann nehme ich sie an. Ich sage immer: Ein Künstler kann anziehen was er will und hingehen wo er möchte, solange er ein Künstler bleibt.

Wie warst du denn als Kind?

Sehr lebhaft und widerspenstig. Ich bin der jüngste von drei Brüdern. Meine Mutter wollte eigentlich eine Tochter und nach dem ersten Sohn versuchte sie es noch mal und dann noch mal und jetzt hat sie drei Söhne. Ich bin der einzige Künstler. In meinem Haus wird weder gesungen, noch getanzt, noch Gitarre gespielt …. nichts davon. Keine Kunst weit und breit, die sind alle eher sportlich. Mein Bruder spielt sogar in einem Club der Liga. Mein Vater hat einen Betrieb, in dem auch mein anderer Bruder arbeitet.

Alle wollen immer zu mir nach Hause, zu Weihnachten oder zu Silvester, weil sie glauben, dass es da so richtig ab geht…. Und ich sage ihnen immer, dass sie das vergessen sollen, denn bei uns gibt es keine Juergas. Das können sie dann gar nicht glauben, aber so ist es.

Na ja, ich war jedenfalls der Jüngste und ziemlich eigensinnig. Nicht aufsässig, ich wusste nur ziemlich genau, was ich wollte. Wenn mir etwas nicht gefiel, dann sagte ich es, ich hatte keine Angst meine Meinung zu sagen, egal, was die anderen dachten. Meine Brüder liebten den Fußball, ich nicht, also ging ich auch nicht Fußball spielen. Ich wollte tanzen, also tanzte ich. So war das und so bin ich noch heute.

Lebst du immer noch in Cádiz?

 Da habe ich meine Kindheit verbracht und da lebe ich noch immer. Ich liebe Cádiz. Ich war nur drei Jahre weg, als ich mit 18 Jahren in die Compañía andaluza von Aida Gómez eintrat. Meine Eltern waren froh, weil ich da ein fixes Gehalt bekam und es mir gut ging. Damals war das wie ein Lottotreffer, Madrid war damals das Größte. Madrid war ein Sprungbrett in die Welt, wenn man ein Star sein wollte, musste man da sein. Das war mein Traum, aber auch die einzige Zeit, in der ich von zu Hause weg war. Dann kehrte ich nach Cádiz zurück und da habe ich auch mein Studio.

Bist du auch mit den anderen Künstlern in Cádiz in Verbindung?

Ja klar, mit David Palomar bin ich eng befreundet, ich habe schon oft mit ihm gearbeitet, und seine Frau, Anabel Rivera ist auch in meinem neuen Stück dabei, Anabel, Samara und Sandra, drei Künstlerinnen aus Cádiz.

Erzähl doch ein wenig über dein neues Stück, worum geht es?

Um die Beziehung zu den Frauen in den verschiedenen Phasen meines Lebens: die Frau als Mutter, als Freundin, als Geliebte, aber auch um die Frauen, die mich als Künstler begleitet haben, wie Aída Gómez oder Rocío Molina, Frauen, die eine wichtige Rolle in meiner Karriere und in meinem Leben gespielt haben. Und diese drei Sängerinnen repräsentieren sie in verschiedenen Rollen. Für mich ist die Frau an sich etwas unglaublich wichtiges. Die Frau gibt uns das Leben, ohne sie wären wir gar nicht hier und das ist doch das Wichtigste, was wir haben.

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Und der Titel „Guerrero“, also „Krieger“?

Es ist ein Krieg der Gefühle, aber eigentlich ist es ein Wortspiel. Die Leute glauben, dass es der Krieg ist, den ich gegen die Frauen führe, ein Kampf oder eine Konfrontation. Aber darum geht es nicht. Ich bin „El Guerrero“, das ist mein Name. Es geht um mich und die Frauen, aber es ist ein Dialog, es geht um Gefühle.

Um den Mann, der mit den Frauen spielt, es ist wie ein Spiel, es geht um Vergnügen und um Empfindungen. In der Nana, in der Saeta oder der Seguiriya geht es um mein Leben mit den Frauen, ich habe viele Freundinnen, viel mehr als männliche Freunde.

Eine deiner engsten Freundinnen ist Rocío Molina, mit der du das großartige „Bosque Ardora“ gemacht hast, wie war das denn?

 Rocio und ich kennen uns schon seit vielen Jahren, wir waren noch sehr jung, als wir uns kennen gelernt haben und haben viel gemeinsam erlebt. Wir haben verrückte Zeiten erlebt, wir hatten Höhepunkte aber auch Misserfolge, wir waren jung und verrückt. Wir kannten uns so gut, dass es für uns weder schwierig, noch kompliziert war, das alles auf die Bühne zu bringen, wir hatten keine Angst uns lächerlich zu machen und es war uns nicht peinlich, wenn wir uns berührten. Wir haben zusammen geschlafen, gemeinsam geduscht und gemeinsam geatmet, es gibt nichts, was wir nicht gemeinsam gemacht hätten. Das gibt dir so viel Freiheit! Die Basis von „Bosque Ardora“ war die Improvisation, worin ich gar keine Erfahrung hatte, aber Rocío schon. Eine der Regeln, die wir aufstellten, war, dass keiner von uns Zapateados machen durfte. Wir sollten nur Spaß miteinander haben. Wir waren weder Tiere noch Personen, wir bewegten uns nur miteinander, die Verbindung entstand durch die Bewegung. Wir erfanden eine Vergangenheit, in der vieles geschah, wir spielten miteinander, da gab es auch Lust und Begehren, alles kam aus der Bewegung heraus und dann versuchten wir es in Worten auszudrücken und schließlich brachten wir es auf die Bühne. Aber wie gesagt, wir waren einfach frei, wir kannten uns so gut, wir wussten immer wie es dem anderen ging und konnten darauf eingehen.

Bosque Ardora© Alain Scherer_054 Kopie

Ich kann mich noch daran erinnern, als Pina Bausch sagte, für sie wäre die persönliche Beziehung viel wichtiger als die rein künstlerische, denn aus der Person selbst könnte sie viel mehr heraus holen als aus der Künstlerin.

Ich bin ein großer Fan von Pina Bausch, ich bewundere sie sehr. Durch meine Arbeit in der Compañía von Eva Yerbabuena kam ich ihr sehr nahe. Ich hatte das Glück, dass ich neben ihr sitzen und sie beobachten konnte, wie sie sich bewegte, schon wenn sie sich eine Zigarre nahm, hatte das Qualität. Nur wenn sie da saß war das schon Tanz.

Was für ein Luxus!

Ja, wenn sie mit Eva arbeitete, konnte ich sie beobachten und es war unglaublich: Selbst wenn sie sich nur an eine Wand lehnte, war das Bild perfekt: diese eingesunkene Brust, diese Haare, diese Nase … ich weiß auch nicht, alles an ihr war in perfekter Harmonie. Deswegen war sie Pina Bausch. Aber man muss gar nicht so viel darüber nachdenken, der Künstler offenbart sich schon, wenn er nur geht.

Du gehörst zu einer neuen Künstlergeneration, was hat sich verändert? Was ist der größte Unterschied zwischen euch und der vorherigen Generation?

Wir werden ja „Contemporary flamencos“ genannt, dabei waren sie das ja auch schon, aber in der damaligen Situation konnten sie das nicht ausleben, das Publikum war ja ein ganz anderes. Früher gingen die ins Theater, die es sich auch leisten konnten, weil sie einer höheren sozialen Schicht angehörten, und die Künstler mussten das zeigen, was sie sehen wollten. Wir Künstler von heute machen das, was wir wollen, niemand kann uns einen Platz zuweisen, sondern wir verlangen einen Platz und weil wir das tun, können wir machen, was wir wollen.

Das Publikum, das heute kommt um uns zu sehen, weiß das und es versteht uns, es ist frei zu entscheiden, ob es uns sehen will oder nicht. Frei im Denken und im Handeln, in seiner sexuellen Orientierung und frei zu sprechen. Früher war das nicht so, da gab es nur rot oder weiß, blau oder grün, ja oder nein. Und als Künstler musstest du dich danach richten, da galt: wer zahlt, bestimmt.

Carmen Mora war für mich sehr zeitgenössisch, aber es war undenkbar, dass sie in einem Jazzclub auftrat. Das kam erst mit Belén, und genau so war es bei Eva Yerbabuena.

Bei Rocío Molina war es schon ganz anders. Da war der Boden schon vorbereitet und sie musste nur darauf gehen. Das ist wie bei einem Schachspiel: Entweder wir werden bewegt oder wir bewegen uns selbst. Es gibt welche, die dich fressen wollen und die, die sich fressen lassen. Vergleichst du die Kunst mit einer Partie Schach, dann ist das so: Du musst genau auf das Feld schauen und aufpassen, dass niemand deinen Stein bewegt. In dem Moment wo jemand deinen Stein bewegt, verlierst du das, was du bist oder sein willst, deine Identität und darum geht es für mich in der Kunst. Heute hast du als Künstler viel Freiheit auf der Bühne, wie Israel, er ist frei und Rocío genau so. Natürlich gibt es Leute, denen das gefällt, genauso wie es andere gibt, denen es nicht gefällt, aber die Künstler leben ihre Freiheit.

Nicht alle haben die gleichen Möglichkeiten, denn wenn das so wäre, würde es viel mehr freie Künstler geben und wir würden viel mehr davon sehen und erkennen, dass es nicht nur die Ideen von einzelnen sind, sondern dass es viel mehr interessante Möglichkeiten gibt. Aber schlussendlich sind wir alle von denen abhängig, die Festivals und Auftritte programmieren und was sie wollen ist, dass die Theater voll sind. Das will ich natürlich auch und ich habe Glück, denn das Publikum ist mir gewogen.

Rocío Molina hat mir sehr geholfen, sie hat mir viele Möglichkeiten eröffnet und durch sie konnten die Zuschauer einen Eduardo Guerrero entdecken, den sie bis dahin noch nicht kannten. Sie hat eine große menschliche und eine künstlerische Qualität, sie ist ein junger Mensch ohne Vorurteile, sie befürchtet nicht, dass ihr jemand den Platz wegnimmt, weil sie intelligent ist und das Leben kennt, sie hat keine Angst, wenn jemand Neues kommt. Und wenn er besser ist, dann ist es umso besser!

Du probst gerade ein neues Stück, worum wird es gehen?

Es ist ein neues Projekt, das mit dem Premio Desplante zu tun hat, den ich 2013 gewonnen habe, mich interessiert der Prozess, der dazu geführt hat beim Festival Cante de las Minas in La Unión. Ich wollte es mit den gleichen Leuten machen, dem Cantaor Jeromo Segura und dem Gitarristen Salvador Gutierrez, aber der wird sich aus Zeitgründen mit Javier Ibañez abwechseln. Ich wollte das alles noch einmal durchgehen, denn seit ich den Preis gewonnen habe, ist so viel passiert, so viel Gutes, aber es ging alles so schnell. Ich hatte gar keine Zeit, das alles zu verarbeiten, diese Phasen des Wettbewerbs bis zum Finale, da blieben wir fünf übrig: María Moreno, El Choro, Mercedes Ruiz, Carmen González und ich. Fünf.

 Keine schlechte Gesellschaft!

Eben! Fünf Talente und jeder von uns hätte den Preis verdient. Das habe ich schon in meinem ersten Interview nach dem Wettbewerb gesagt. Die Jury hat mir den ersten Preis gegeben, aber verdient hätten wir ihn alle. Wir sind alle verschieden aber sicher gleich gut, jeder auf seine Art. Das war bestimmt keine leichte Entscheidung, da ging es sicher um Hundertstel Punkte und auch darum, was dir gefällt oder nicht und das finde ich interessant.

Ich habe gehört, du bist auch ein gefragtes Model in der Modewelt…

Ich habe gerade die Fashion Week in Madrid eröffnet bei der Schau von Francis Montesinos. Er rief mich an und machte mir den Vorschlag und ich sagte, dass ich überhaupt keine Modelerfahrung habe , aber er sagte: „Das spielt keine Rolle, ich möchte, dass du in meinen Kleidern tanzt!“ Und das tat ich und es war ein großartiges Erlebnis.

Und warum hat er dich ausgewählt?

Er sagt, dass seine Modelle zwar traditionell sind aber auch modern, genauso wie ich. Ich würde mich nicht als zeitgenössischen Tänzer bezeichnen, obwohl ich auch Contemporary dance studiert habe. Aber natürlich ist mein Bewegungsrepertoire modern. Wenn ich mich auf den Boden werfen will, dann tue ich das, aber nur dann, wenn ich das Gefühl habe, dass ich das tun muss. Nur dann.

Fotos: Alain Scherer und Félix Vázquez