Debajo de los pies: Unter den Füßen
In einem der am meisten erwarteten Stücke des Festivals de Jerez betritt Eduardo Guerrero vollkommen neue Pfade. Es ist sein erstes Gruppenstück und auch seine Begleiter sind neu: Der Gitarrist Joselito Acedo, der Sänger Ismael de la Rosa, die Tänzerin Sara Jiménez, der Tänzer Alberto Sellés und Manuel Reina an der Perkussion begleiten ihn in der aufregenden Welt der von den Brüdern Pedro und Benito Jiménez, „Los Voluble“ kreierten Sound- und Videolandschaft. Flamenco, Noise, Rap, Semana Santa, Werbung und Home Movies machen ihre Sessions zu einem komplexen Geflecht aus digitaler Folklore gemischt mit analogen Instrumenten. Szenisch begibt er sich wieder in die Hände von Mateo Feijoo, David Lagos beriet ihn bei der musikalischen Recherche. Im folgenden Interview erzählt er von seiner aufregenden Reise zu neuen Ufern.
Der Anfang
Angefangen haben wir mit dem Projekt schon 2017, mit der Hilfe von David Lagos betrieben wir sozusagen die Feldforschung, was den traditionellen Cante betrifft. Die ersten Treffen hatten wir in Chiclana, dann kam plötzlich der Ruf der Bienal, die uns die Aufführung von „Sombra Efímera“ in der Burbuja, der großen Seifenblase aus Kunststoff während des Festivals ermöglichte. Gleich darauf fragte das Festival de Jerez an, ob wir das Stück für die Bühne adaptieren könnten und daraus entstand am Ende „Sombra Efímera II“. Wir unterbrachen also die Arbeit an „Debajo de los pies“ und tourten erfolgreich mit der Sombra, die wir dann auch noch für die große Bühne des Teatro Maestranza abändern mussten, denn da waren die Anforderungen noch größer.
Die Tradition
Was wir schon hatten, war ein Teil des kreativen Prozesses. David Lagos nahm uns mit nach Jerez um Tío Maleno kennen zu lernen und seinen Pregón, den er selbst kreiert hatte, der ganz anders war als alle anderen und den wir dann auch aufnehmen konnten.
Wir hatten auch einen Tag mit Remedios Amaya in Sevilla, die uns von ihrer Kindheit im Polígono San Pablo erzählte, mit ihren Freunden, die damals auch noch Kinder waren: Raimundo Amador, Bobote, El Eléctrico und Carmelilla Montoya. Sie erzählte einige Anekdoten und begann dann ihre wunderbaren Tangos zu singen, die ich unbedingt im Stück haben wollte, weil sie eine Erinnerung an meine Kindheit waren, denn mit dem Cante von Remedios machte ich mein ersten Schritte.
Dann hatten wir auch noch die Aufnahmen von den Salinen in Cádiz und in den Dünen von Boloña, all diese Aufnahmen machte der Künstler Simone Serlenga. Dann legten wir das Projekt zur Seite. Es musste noch etwas warten.
Los Voluble
Mit den zwei Brüdern von Los Voluble wollte ich schon lange etwas gemeinsam machen, und als ich sie live beim Festival in Ljubljana sah, war ich so begeistert, dass ich gleich nach meiner Rückkehr den Kontakt herstellte. Die Voluble sind deswegen so interessant für mich, weil sie das traditionelle nicht zerstören, sondern sie es uns mit anderen Augen sehen lassen. Ich sprach mit Mateo Feijoo und wir gaben ihnen unser ganzes audiovisuelles Material um zu sehen, was sie daraus machen würden.
Die Videos von Serlanga waren großartig, fast wie ein eigener Film, der Blick von Remedios Amaya, die Hände von Tío Malena, die Landschaften, ich wollte ja nicht, dass das zerstört wird, es sollte nur in einen anderen Kontext gebracht werden und ich war mir sicher, dass Los Voluble dieses Aufeinandertreffen von Tradition und Avantgarde perfekt umsetzen würden.
Wir hätten ja auch die Aufnahmen aus dem Jahr 2017 verwenden können, aber inzwischen war so viel passiert, dass unser Leben ja ein ganz anderes war, dieser brutale Einschnitt durch die Pandemie hatte alles verändert. Und das, was sie uns schließlich präsentierten, war umwerfend. Es war ihnen gelungen, diesen Dialog mit der Tradition und ihren Wurzeln einzufangen, aber ihn in eine andere Sprache zu übertragen ohne seine Essenz zu verlieren. Da war diese Wahrheit von Remedios Amaya und von Tío Maleno, aber es manifestierten sich auch der Krieg, das Dunkle, die Pandemie, die Einsamkeit und Entbehrungen.
Das erste Gruppenprojekt
Der Arbeitsprozesses war nicht einfach, mit Videokonferenzen, Skype meetings, stundenlangen Telefonaten, das Proben war schwierig, weil die Anzahl der Personen, die gemeinsam arbeiten durften, beschränkt war, und durch die Reisebeschränkungen war einer in Sevilla, einer in Cádiz und einer in Granada. Wir konnten auch die Probenzeiten nicht bestimmen, denn um 18:00 mussten wir aufhören und so weiter, es war also ziemlich kompliziert.
„Debajo de los pies“ ist mein erstes Gruppenprojekt und bedingt durch die Umstände ist es ganz anders verlaufen, als ich mir vorgestellt hatte, aber ich wollte es auch nicht anpassen oder modifizieren, denn ich brauchte eine Veränderung: das begann mit der Auswahl des Gitarristen, denn Joselito Acedo zwang mich meine Komfortzone zu verlassen, in der ich es mir mit Javier Ibañez und Juan José Alba so gemütlich eingerichtet hatte. Was wiederum bedingte, dass ich mir auch einen neuen Sänger suchen musste, nämlich Ismael de la Rosa, „El Bola“. Er singt ausschließlich Texte von Dichterinnen des XVIII und XIX Jahrhunderts und die haben ein ungeheures emotionales Gewicht und eine tiefe Wahrheit.
Solche Veränderungen verlangen natürlich einen viel größeren Arbeitsaufwand und da eröffnete sich uns die Möglichkeit einer Residenz von fünf Tagen im Teatro Villamarta, ein Geschenk des Himmels unterstützt von Isamay Benavente, das es uns erst ermöglichte in die Welt der Voluble einzudringen und uns darin zu bewegen.
Die Füße
Oft taucht die Frage auf, warum das Stück diesen Namen trägt, und natürlich geht es nicht nur um meine Füße, sondern vielmehr um die der ganzen Welt, um die Schritte, die wir tun, um die Zeit die wir gehen und obwohl wir den Moment, in dem wir gelebt haben, vergessen wollen, müssen wir weitergehen und obwohl sich das Leben verändert hat, müssen unsere Schritte vorwärts gehen.
Der Körper
Ich wollte auch einen Dialog schaffen zwischen der Welt von gestern und der, in der wir heute leben, eine Sprache für diese neue Lebenssituation finden, denn die Welt war zum Stillstand gekommen und der einzige Wert, den ich im Leben hatte, war mein Körper. Ein Körper, der tanzt, ein Körper, der nicht aufgibt, ein Körper, der darauf besteht, zu leben, der Angst hat, der es tut, indem er auf seinen eigenen Körper hört, auf seinen Raum, denn am Ende war alles zu einer Einsamkeit geworden, in der man diese Angst mit sich trug.
Das Stück hat drei Teile: Die Harmonie, Das Spiel und Das Chaos. Sie leben in einem für uns ungewohnten Umfeld durch die Projektionen und den Klangraum von Los Voluble.
In der Soleá gibt es einen Moment, wo man sieht, wie der Körper eines brasilianischen Minenarbeiters herauf geholt wird. Von seinen Arbeitskollegen, gezeichnet durch die gleiche Erschöpfung.
Das ist es, was ich auch gesucht habe, meinen Körper durch diesen Verschleiß zu brechen, den Moment, in dem dein Körper dich bittet, alles aufzugeben, was du bist, zu vergessen, dass du tanzt, zu spüren, dass du ein von Erschöpfung völlig zerschundener Körper bist, der nicht mehr weiter kann, aber es ist echt, wir suchen nicht nach etwas Falschem, und das Stück hat ein Ende, aber kein genau definiertes Ende, es endet dort, wo mein Körper nicht mehr weiter kann.
Die Augen
Zum ersten Mal wird mir bewusst, was ein Körper wert ist
und die Leere meiner Gedanken wird nicht groß,
aber Körper: du wirst diese Welt mit Schmerz verlassen.
Interview: Susanne Zellinger
Fotos: Lucrecia Díaz
Debajo de los pies
Teatro Villamarta, Jerez
15.05.2021, 20:30