Natürlich wusste ich, dass es mir keine Ruhe lassen würde, aber ich tat zuerst einmal so, als ob. Von der Zeitschrift „tanz“ beauftragt, eine Kritik über Israel Galváns sehnsüchtig erwartetes Stück „La Fiesta“ zu verfassen, worauf ich sehr stolz bin, handelte es sich doch um die wichtigste deutsche Tanzzeitschrift, war es mir klar, dass ich nicht gleichzeitig für flamenco-divino darüber schreiben kann. So sind die Regeln. Aber man wird ja wohl noch darüber nachdenken dürfen.
Darüber, was denn da passiert ist, warum Zuschauer das Theater verließen, anwesende Performance Künstler in Entzücken ausbrachen oder Kritiker/innen den Rückzug antraten. Aber hauptsächlich darüber, warum ich selbst von Zweifeln geplagt wurde, obwohl ich die Karriere von Israel Galván seit Jahren fasziniert verfolgt habe und ich dem ersten Interview mit ihm meinen Einstieg in die Flamencozeitschrift verdankte, deren Namen nicht genannt werden möchte. Oliver Farke weiß, warum.
Da fiel mir ein Artikel eines Journalisten in einer deutschen Zeitschrift ein, die zu Urlaubszeiten den Vertreter/innenartikel erfand. Das heißt, wenn die Tanzkritiker auf Reisen gingen, schrieben die Theaterkritiker über Tanz und umgekehrt. Was eine sehr gute Idee ist, weil man dann mit dem Blick des unschuldigen Zuschauers über etwas schreiben muss, von dem man keine Ahnung hat.
Er schreibt also Folgendes: „Verwirrenderweise heißt „Tanz“ ja erst „Tanz“, seitdem dabei nicht mehr getanzt wird. Davor, also so bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, hieß das Ganze Ballett. Im Gegensatz zum Ballett geht es im Tanz, der in Zeitungsartikeln auch als Tanztheater oder New Dance oder postmoderner Tanz und hin und wieder sogar als postpornografischer Tanz bezeichnet wird, darum, dass die Darsteller Bewegungen ausführen und Positionen einnehmen, die möglichst wenig interpretierbar sind. Man steht, man sitzt, man winkt, man schüttelt sich, solche Sachen, manchmal wird auch gebellt oder gemuht, das geht dann halt wieder eher ins Postpornografische.“
Daran musste ich denken, als Niño de Elche, ein großartiger Cantaor, siehe oben von sich gab. Ebenso, als Israel Galván für 45 Minuten von der Bildfläche verschwand und als er wieder auftauchte, hinter einem aufgestellten Podium tanzte, wodurch seine Füße nicht zu sehen waren.
Wenn Opernsänger die Arie um einen Halbton zu tief singen würden, Maler mit unsichtbarer Farbe malen, Palmeros lautlos klatschen, Eiskunstläufer barfuss über das Eis gleiten, Seiltänzer auf dem Boden balancieren und Jongleure ihre Kegel ziellos durch die Gegend schießen würde ich mich auch wundern, oder in ein anderes Kino gehen.
Im modernen Tanz wird manchmal auch um jeden Preis „das Schöne“ vermieden, das sei etwas für Amateure, das ist so wie wenn Herr Klimmer sich ein Bild kauft, das zum Sofa passt, weil’s so schön ist, das kann doch nur minderwertige Kunst sein, Schönheit ist keine Kriterium mehr, oder besser gesagt: Die Schönheit ist und fremd geworden.
Und lassen Sie sich nicht vom Titelbild täuschen. Es hat mit „La Fiesta“ rein gar nichts zu tun.
Foto: Rubén Camacho