Wie konträr Flamencoaufnahmen aus dem gleichen Jahr sein können erkennt man spätestens, wenn man in die neue CD von Dani de Morón hineinhört. Vorsichtig könnte man ihn als „Shootingstar“ innerhalb der jungen Szene von Flamencogitarristen bezeichnen, nicht umsonst engagierte Paco de Lucía den 1981 geborenen Gitarristen und späteren Preisträger der Bienal von Sevilla im Jahre 2012 (als Gitarrist und mit Aleluya Erótica) für seine „Cositas Buenas – Tour“. Dani stammt aus Morón de la Frontera, eine jener kleinen, aber von Aficionados hoch geschätzten Wiegen der Flamencomusik, insbesondere der Flamencogitarre, historisch geprägt vor allem von Diego del Gastor, dessen weit verzweigter Familie er auch angehört und der eine ganz eigene Flamencogitarre spielte und vor allem für seine variationsreiche Art, den Flamencogesang zu begleiten, hoch geschätzt wurde.

Dani de Moróns Hommage an Paco de Lucía ist ganz anderer Natur, er gehört zu den jungen Flamencokünstlern, die wie Paco de Lucía musikalische Grenzüberschreitungen suchen. „Paco ist immer da, aber Entre dos aguas zu spielen bedeutet nicht, ihm Tribut zu zollen. Seine eigene Persönlichkeit zu leben, ist der beste Weg, Paco de Lucía Tribut zu zollen“, sagt er in einem Interview auf deflamenco . Dieser Ausspruch führt direkt zu seiner neuen CD „El sonido de mi libertad“.

Dani CD Kopie

Als ich die CD zum ersten Mal hörte, kam mir die Aufnahme von Pat Matheny und Charlie Haden in den Sinn, Beyond de Missoury Sky, reduziert auf Gitarre und Bass und ganz darauf fokussiert, Klangwelten zu durchwandern. Und obwohl es sich natürlich um eine ganz andere Musik handelt, auch bei Dani de Morón geht es darum, harmonische Grenzen aber auch rhythmische Strukturen der Flamencogitarre weiter aufzubrechen. So sind in den Kompositionen dieser neuen CD grundlegende Stilbausteine der verschiedenen Palos bisweilen kaum mehr zu orten. Auch Percussion und Palmas sind sehr sparsam eingesetzt, Flamencogesang kommt auch in seiner zweiten CD nicht vor. Seine Solo-CDs sind eine persönliche, musikalische Spurensuche, spiegeln seine Liebe zu Jazzmusik, seine Beschäftigung mit ihr sowie seine Arbeit mit Musikern aus diesem Genre wieder, verarbeiten seine diesbezüglichen Hör- und Spielerfahrungen.

Ein interessanter Aspekt der Flamencomusik, insbesondere der Flamencogitarre, ist ihre Parallele zur Entwicklung der Hörgewohnheiten in der europäischen Kunstmusik. Während es sich dort jedoch um einen Prozess von Jahrhunderten handelte, erfolgten vergleichbare Veränderungen im Flamenco sozusagen im Zeitraffer in wenigen Jahrzehnten. Der Unterschied heutiger Hörgewohnheiten und Spielweisen zu jenen der 1960er und 70er Jahre ist enorm, diese Entwicklungen mit allen sie begleitenden Diskursen und Diskussionen miterleben zu können ist höchst interessant. Auch das Selbstbild der Künstler war übrigens, und hier findet sich eine weitere Parallele, einer starken Wandlung unterworfen.

Innerhalb der jungen Generation der Flamencos ist der Druck heute groß, Neues zu schaffen, um an der Weiterentwicklung dieser Kunst namhaft beteiligt zu sein. Die Frage ist, wie jemand diese Herausforderungen löst, sich zu einem traditionellen Stil bekennt oder eine Mischung aus traditionellen und avantgardistischen Elementen präsentiert, mit der Gefahr, dass alles etwas gewollt und aufgesetzt wirkt.

Dani de Morón geht hier in seiner neuen CD einen konsequenten Weg, es schwinden die traditionellen Anhaltspunkte, er lässt ambitionierte Flamencogitarristen bisweilen verzweifelt rätseln, in welchem Palo er sich gerade bewegt. Aber seine musikalischen Linien, von Jazzharmonik geprägt, sind schön und interessant anzuhören, haben ihre logische und emotional durchdachte Fortschreitung. „Es geht darum, die Musik aus Liebe zu ihr zu hören, nicht einzelne Akkorde herauszupicken, sondern die Essenz dieser Musik in deine eigene Sprache zu übertragen“ .

Das Titelstück, eine Bulería, ist eine äußerst gelungene Kombination lyrischer, bisweilen anregend schräger Melodik in Kombination mit charakteristischen Rhythmuselementen, immer wieder von Breaks mit lyrischen melodischen Floskeln unterbrochen, nach welchen die Bulería in ihrem Rhythmus wieder neu anrollt. Dennoch geht die Spannung in den gut sechs Minuten nie verloren, im Hintergrund finden sich neben dezent eingesetzten Palmas und Cajón auch Bass und kurzer Bläsersound. Dieses Gestaltungskonzept setzt sich beim Tangos del 21 fort, das Anfangsthema, das am Schluss in endlosen Varianten wiederholt und mit Solis über die eigene Gitarre bereichert wird, schwillt immer mehr an, schön anzuhören, aber doch sehr lyrisch, Puristen werden typische Tangos-Charakteristika vermissen. Fe ist eine Soleá, die durch die fortlaufend strenge rhythmische Begleitung aber auch zur Soleá por Bulería hinüberlugt. Mir gefällt sie sehr gut, eben, weil Ausflüge in doch sehr „flamencofremde Klänge“ in typischen Elementen der Soleá enden, man könnte den Eindruck gewinnen, dass die durchlaufende, rhythmisch strenge Begleitung den Zweck hat, das Stück nicht zur Flamencofantasie „verkommen zu lassen“. Die Soleá war ja durch ihr getragenes Tempo eines der ersten harmonischen Experimentierfelder der Flamencogitarre, denn, und das lässt sich auch an der aktuellen CD erkennen, das Fokussieren fremdartiger, harmonischer Zusammenhänge verlangt ein Zurückschrauben von Tempo und Rhythmik um eben den Blick auf diese harmonischen Fortschreitungen freizugeben.


Mein momentanes Lieblingsstück auf der CD ist Cinco Minutitos de Alegría , eine gelungene Mischung von Experimentellem und Traditionellem. Schwieriger ist die Spurensuche bei Tierra Bendita nach bekannten, stilprägenden Floskeln, harmonisch ist der Fandango aber sehr schön gestaltet. Die letzten 3 Nummern dieser 10 Stücke umfassenden CD, eine Bulería namens Buena Sombra, die Farruca Mi Luz y mi Guia und die Rumba am Schluss runden eine harmonisch interessante CD ab, die sich sehr stark aus dem Korsett der verschiedenen Palos befreit, sie im Dunklen lässt und oft nur andeutet. Die CD hat, bei aller klanglicher Schönheit auch einen Wermutstropfen: die einzelnen Stücke in doch sehr unterschiedlichen Stilen nähern sich im Gesamteindruck sehr stark aneinander an, beginnen einander zu ähneln. Aber uns gefällt ja der Flamenco, weil wir die aussterbenden Tascas, von meinem englischen Freund als Old Men Bars bezeichnet, von Jerez witzig finden, weil wir das Neue im Korsett des Alten suchen, weil wir irgendwo alle ein bisschen Traditionalisten sind. Und wir wollen uns auch in den uns bekannten Stilen in immer neuen Varianten wiederfinden, ohne detektivische Spurensuche. Gespannt bin ich, wohin die Reise mit der nächsten Solo-CD von Dani de Morón geht.

Titelfoto von deflamenco.com.