Nach 10 Jahren hat Pastora Galván sich einen Moment Zeit genommen um Luft zu holen. Sie hält einen Moment inne und nützt die Bienal um ihre Erinnerungen zu ordnen und die Zukunft vorzubereiten. Sie legt alte Fotos auf den Tisch, aus ihrem Fotoalbum wählt sie die besten aus, sie ordnet sie und legt sie in eine Schublade und sie wird sie nicht mehr anschauen, bis sie diesen Lebenszyklus beendet hat.
Manchmal fehlte der Collage, die Pastora im Teatro Lope de Vega präsentierte allerdings der Zusammenhang. Sie legte die Fransen des Mantóns um und wiegte ihren Körper im andalusischen Rhythmus; sie erinnerte sich an Loli Flores mit ihren Kastagnetten und der Bata de cola wie schon in ihrem Stück „Identidades“; sie war „La Francesa“ indem sie Jeromo Segura im weißen Anzug eine Version von ‚Rien de rien’ von Edith Piaf singen ließ; sie tanzte à la Triana, das Viertel, das sie wie keine andere in ihrer Schürze einzufangen vermag und verwandelte sich in andere Personen, die sie schon in ihren früheren Stücken gewesen war.
Pastora unterhält, sie fesselt und hypnotisiert. Sie hat eine Kraft, der niemals der Humor fehlt, Humor Marke Galván: etwas surrealistisch manchmal, aber spontan und frei von Angst. Dennoch fehlte manchmal der Zusammenhang, sie präsentierte eine Nummer nach der anderen, ohne Rücksicht auf die chronologische Ordnung und die Versprechen des Programmhefts: „Was ich gemacht habe“, „Was ich mache“ und „Was ich tun werde“. Aber andererseits, welches Gedächtnis funktioniert schon chronologisch und welche Erinnerung ist nicht selektiv?
Was das Tänzerische angeht, war sie wie immer, ein perfekter Compás, Grazie und ihr kurvenreicher Körper, der immer am Punkt alles ausdrückt: bei jedem Remate und wenn sie still steht. Jede noch so kleine Geste sagt mehr aus als andere in einem ganzen Stück und man brauchte nur ins Gesicht des Gitarristen Juan Requena zu sehen – großartig übrigens – um zu erkennen, dass Pastora hier eine Lehrstunde des Flamenco nur mit ihrem Körper gab. Mit den beiden Sängerinnen La Tana und Angelita Montoya fühlte sie sich wohler als mit den männlichen Sängern und ließ sich von ihren Stimmen tragen.
Dann kam der Moment, in dem das Publikum aufgeschreckt werden musste: Pastora in engen Leggins und ebensolchem T-Shirt wie die Mädchen aus der Vorstadt, die mit Big Brother oder New Jersey Shore aufgewachsen sind, wo junge Leute mit dem gleichen Outfit triumphierten. Alles ist künstlich, die Ohrringe, die aussehen, als wären sie aus Gold, die falschen langen Haare, die künstlichen Fingernägel und Shirts, die von Sklaven aus gar nicht so weit entfernten Ländern gemacht wurden und von denen sie glauben, dass Cristiano Ronaldo, einer ihrer Idole, die gleichen trägt.
In diesem Aufzug kam sie auf die Bühne und tanzte frenetisch, so wie in einer Disco, wo es egal ist, welche Musik gerade spielt. Herausfordernd und schamlos spielte sie die, die im Viertel den Ton angibt, gewöhnlich, manchmal sogar unangenehm. Das Bild war schockierend und der Tanz brachte nichts neues, also wahrscheinlich ein Scherz, eine Parodie auf sie selbst oder auf die durch das Fernsehen geschaffenen Kulturgestalten unserer Zeit.
In ihrer absichtlich vulgären Darstellung benützte Pastora jedoch nicht den Code der Straße um ein stilisiertes Getto abzubilden. Man denke an Jennifer López und ihr „Jenny from the Block“, in Markenkleidern, mit 500 Dollar Haarschnitt und Parfums, die nicht gerade nach Vorstadt duften bedient sie sich der Klischees der Straße. Pastora machte es so billig wie möglich, in einer Ästhetik, die ihr nicht fern liegt, die sie aber bisher noch nicht zu diesem Extrem getrieben hat. Vielleicht war sie diesmal zu sehr sie selbst, aber auf der Bühne wurde es zu einem Zerrbild von Pastora. Hätte ihr Bruder Israel das gleiche gemacht, hätte bestimmt jemand die Idee mit Hundert Zitaten von Gilles Deleuze verflochten und nicht mit Leggins vom Flohmarkt und dann spräche man heute von einem „Metaflamenco“.
Das Publikum gab nach vorherigen Olés und Komplimenten nur zögerlichen Applaus und auch das Ende mit der Nana del Caballo Grande von Lorca in der Version von Camarón stieß aus Unverständnis. Und dass sie sich nach der temporeichen, für sie so charakteristischen Vorstellung, auf den Boden legte und schlief wurde auch nicht goutiert.
Pastora hat den Tanz der Nachbarinnen aus Triana wieder zum Leben erweckt, aber auf ihre Weise. Sie hat den Bolero von Ravel getanzt, aber auf ihre Weise. Sie nahm Elemente aus der Volkskultur und machte sie im Flamenco populär, auf ihre ganz spezielle Weise. Sie lachte dabei und erfüllte alles mit Humor und das machte sie sympathisch.
Während der gestrigen Show bezog sie sich auf sich selbst und nicht auf etwas Vergangenes, um es, mit Nostalgie und Anmut bedeckt, wieder hervor zu holen. Vergangenes neu zu interpretieren ist einfach, aber der Gegenwart ins Gesicht zu schauen ist etwas anderes, denn was man da sieht, passiert noch immer. Pastora nahm einen Teil der Volkskultur des XXI Jahrhunderts, eine Kultur geschaffen von Fernsehen und Facebook und hob sie auf die Bühne eines großen Theaters. Und indem sie die Gegenwart parodierte, erriet sie vielleicht eine Zukunft.