Antonia Jiménez: Heute kann ich sagen, dass ich Feministin bin
INTERVIEW: SUSANNE ZELLINGER / FOTOS: FIDEL MENESES, Erica Lansner
Als ich Antonia Jiménez vor 10 Jahren zum ersten mal interviewte, waren Gitarristinnen noch so etwas wie exotische Tiere, man musste sie mit der Lupe suchen und auch Antonia war scheu und zurückhaltend und vor allem überrascht, dass sie überhaupt jemand interviewen wollte. Es ist bis heute das einzige Interview, das ich ohne Foto veröffentlichen musste. Es gab nämlich keins.
Antonia Jiménez Arenas stammt aus El Puerto de Santa María in der Provinz Cádiz und wollte schon als Kind nichts anderes als Gitarre spielen. Weder ihre Mutter noch ihr Vater unterstützten sie in ihrem Wunsch und alle anderen hielten sie sowieso für verrückt. Ihr erstes Instrument bastelte sie sich aus einer Schuhschachtel, die sie mit Gummiringen bespannte, erst mit 14 Jahren begann sie Unterricht zu nehmen. Ihr Lehrer Antonio Villar war damals der Gitarrist von El Puerto, er erkannte ihr Talent und förderte sie. Mit 20 Jahren ging sie dann nach Madrid, allein und schüchtern und erkämpfte sich einen Platz in der Männergilde, mit Ausdauer und von Tränen begleitet, spielte sie in Tablaos aber auch immer öfter für junge Tänzer und Tänzerinnen wie Marco Flores, Manuel Liñán und Olga Pericet, die sie auch in diesem Jahr in Düsseldorf beim Flamencofestival begleitete.
Hatte sie selbst in ihrer Jugend keine weiblichen Vorbilder, ist sie inzwischen selbst für viele Gitarristinnen ein Vorbild, dem es nachzueifern gilt. Hinter ihr liegt ein langer, steiniger Weg und obwohl es heute mehr Gitarristinnen gibt als noch vor einigen Jahren, gibt es wieder eine neue Gefahr, wie Antonia im folgenden Interview erklärt.
Wie siehst du heute deine Situation als Gitarristin?
Es hat sich viel verändert, jetzt fühle ich mich sehr unterstützt, meine Situation ist jetzt wie die eines normalen Gitarristen, ich habe keinen großen Unterschied zu meinen Kollegen, weil ich das Glück hatte, in den professionellen Bereich einzusteigen, was sehr kompliziert ist, aber ich hatte das Glück, Leute zu treffen, die mir damals vertrauten und ich begann, auf einem sehr hohen Niveau zu arbeiten und deshalb war es ein bestialisches Wachstum.
Du komponierst ja auch, so wie im aktuellen Stück von Olga Pericet, nicht wahr?
Ja, ich komponiere schon seit Jahren und ich habe mich auch mit der Notenlehre beschäftigt, aber eher aus eigenem Interesse. Im Flamenco kommen wir ja ohne das aus, die wenigsten Gitarristen können Noten lesen und für mich diente es eher dazu, mit anderen Musikern in Kontakt zu kommen. Letzten Sommer war ich in Taipeh, in Taiwan. Ich habe mit einem chinesischen Orchester chinesische Musik gespielt, adaptiert für Flamencogitarre und da war es mir schon dienlich, dass ich eine Ahnung davon hatte.
Pino Losada und du, ihr seid ja vollkommen verschieden, nicht nur spieltechnisch sondern auch physisch, ist das manchmal schwierig?
Da geht es eher um Haltungen und Gefühle, manche Gitarristen machen es mir sehr leicht, da herrscht eine angenehme Atmosphäre und man ist liebenswürdig, bemüht sich, dass die andere sich wohl fühlt, das andere gibt es natürlich auch, da ist dann eine Barriere und alles ist kompliziert, aber Gott sei Dank passiert mir das nur selten.
Macht es für dich einen Unterschied, ob du mit Frauen arbeitest, wie in „De Flamencas“ von Marco Flores?
Ich möchte jetzt nichts verallgemeinern, aber ja, natürlich ist das anders, aber vor allem durch die unglaubliche Energie, die wir Frauen auf der Bühne haben, wenn wir gemeinsam sind. De Flamencas war das Stück, mit dem ich am häufigsten aufgetreten bin, fast sechs Jahre lang tourten wir mit diesem Stück. Marco Flores ist einer meiner wichtigsten Lehrer, einer der Maestros, von denen ich am meisten gelernt habe. Genauso wie von Olga Pericet, eigentlich habe ich am meisten von den Leuten gelernt, mit denen ich gearbeitet habe. Abgesehen von Enrique Vargas, der war für die tägliche Routine zuständig und hat mich zum Komponieren gebracht.
Ist oder war der Feminismus für dich ein Thema?
Der Feminismus war für mich ein wichtiges Werkzeug, um mich der Härte der Flamencowelt entgegenzustellen. Im Flamenco ist genau definiert wie ein Mann zu sein hat und wie eine Frau. Ebenso wie er/ sie auszusehen hat. Ich habe kurze Haare und ich schminke mich nicht, aber dennoch fühle ich mich sehr weiblich, es gibt so viele verschiedene Frauentypen, aber das ist im Flamenco noch immer nicht angekommen.
Genau aus diesem Grund habe ich mich immer unwohl gefühlt. Ich war ja noch sehr jung, hatte Angst vor Ablehnung, mit 20 Jahren, als ich nach Madrid kam, war ich auch sehr schüchtern, ich hatte keine Unterstützung und stieß auf diese undurchdringliche Mauer. Es war unmöglich sie zu durchstoßen, ich war sehr frustriert und weinte oft. Mein Auftreten war queer, aber ich bin einfach so, wie ich bin.
In dieser harten Anfangszeit entdeckte ich den Feminismus und durch ihn begann ich zu verstehen, dass alles gut war, meine kurzen Haare, dass ich lieber Hosen trug und keine Schuhe mit Absätzen, ich musste erst lernen zu akzeptieren, dass nichts Schlechtes daran war. Ich weiß, das klingt alles sehr simpel, aber bevor du nicht wirklich akzeptiert hast, dass du so bist und daran nichts falsches ist, solange du das nicht verinnerlicht hast, kannst du auch nicht argumentieren und zeigen, dass du eine starke Frau bist.
Wer hat dich da am Anfang unterstützt?
Ich habe mich damals mit vielen Feministinnen angefreundet und fand eine faszinierende Welt vor, die der des Flamenco genau entgegen gesetzt war und das war für mich sehr wichtig, es kam gerade zur richtigen Zeit. Es war eine völlig neue Art zu denken und die Dinge zu betrachten. Die Soziologin Fefa Vila war eine der Leaderinnen der Bewegung, sie hat uns Frauen wie Judith Butler näher gebracht und ich lernte positiver zu sein und zu sagen: Mein Beruf ist gut, genauso wie mein Aussehen, ich bin mutig und stark, es gibt viele Leute, die mich unterstützen und mich gut finden. Ohne diese Unterstützung hätte ich es nie geschafft, mich dieser Welt entgegen zu stellen, ich hätte es nicht gekonnt.
Was hättest du gemacht, wenn du nicht Gitarristin geworden wärst?
Keine Ahnung, aber wahrscheinlich hätte ich irgend eine andere Art von Musik gemacht. Durch die Traditionen ist die Gitarre für die Frauen ein speziell schwieriges Instrument, das ist im Flamenco durch das Geschlecht definiert. Das ist schon sehr stark und wenn du sozusagen aus der Rolle fällst wirst du sofort schief angeschaut, vor allem wenn du jung bist und darum verstehe ich auch, warum es so wenige professionelle Gitarristinnen gibt, denn ich habe das alles erlebt und weiß, wie hart es ist.
Hast du daran gedacht, nur mit Frauen zu spielen, so wie die Männer das machen, bei ihrer Hommage an Paco de Lucía da waren sie zu sechst, glaube ich?
Nein, eigentlich nicht, ich musiziere auch gerne mit Männern, sie waren auch in meiner Laufbahn sehr wichtig für mich und ich habe viel von ihnen gelernt. Ich sehe auch keinen Grund nur mit Frauen zu spielen, ich liebe die Musik und die Gitarre und ich möchte auch keine Barrieren in umgekehrter Richtung aufbauen, vor allem, weil es ja auch mir so geschadet hat.
In dem Stück, das wir gestern gesehen haben, war Olga Pericet für einen Moment nackt auf der Bühne und da fiel mir Rocío Molina ein und die Riesendiskussion, die es um ihre Nacktheit gegeben hat, wie denkst du darüber?
Ich glaube, dass sowohl die Frau als auch der Mann mit ihrem Körper machen kann, was sie will, ihn verstecken oder ihn zeigen, vor allem in der Kunst, die ist dieser Frage doch über geordnet und frei von Moral! Rocío hat Kritiken einstecken müssen, die sehr hart und vollkommen fehl am Platz waren, das hat sie nicht verdient. Das hat mich persönlich geschmerzt, weil ich sie sehr bewundere.
Andrés Marín stand ja auch nackt auf der Bühne, aber das war in Frankreich, ändert das etwas?
Hier in Andalusien gilt es noch einige Dinge zu überwinden, aber ich sehe das eher als einen individuellen Kampf, etwas Persönliches, eine eigene Entscheidung. Ich muss ich selbst sein, ich werde mich weder verkleiden, noch mich verstecken, ich versuche einfach so ehrlich und integer wie möglich zu sein.
Welchen musikalischen Traum möchtest du dir noch erfüllen?
Ich möchte vor allem mehr komponieren, für mich und für andere und mich musikalisch weiter entwickeln. Ich arbeite gerade an meiner ersten Solo-CD und ich hoffe, es werden noch mehr folgen, aber das ist eine Frage des Geldes und der Unterstützung, die ich bekomme. In den letzten Jahren bin ich sehr gewachsen, denke ich, ich habe mein Potential erkannt, das war wie eine innere Explosion und jetzt will ich natürlich noch mehr.
Dadurch hat sich natürlich auch deine Präsenz auf der Bühne verändert, das war früher nicht so, siehst du das auch bei den anderen Gitarristinnen?
Das ist ein langes Training und wenn du es nicht durchläufst, dann lernst du es nicht. Heutzutage gibt es viele junge Frauen, die sehr gut spielen, weil sie auf dem Konservatorium waren, was mir ein wenig Angst macht. Natürlich muss man sein Instrument beherrschen, schon klar, aber für mich ruht die Flamencogitarre auf drei Säulen: Gesangsbegleitung, Tanzbegleitung und Sologitarre und du darfst keines der drei vernachlässigen, denn wo bleibt dann der Flamenco? Wo bleibt die Improvisation? Wo bleiben der Spaß und die Magie? Und die Fiesta? Die gibt es nicht mehr, das ist das, was ich bei den Mädchen sehe, die aus dem Konservatorium kommen und vor allem wiederholen wir da wieder eine alte Geschichte: Der Platz der Frauen ist im Konservatorium, der der Männer im Tablao. So funktioniert das nicht.
Du spielst aber im Tablao, warum?
Weil ich mir diesen Platz erkämpft habe und darum macht mir das Angst, wenn die Frauen zwar da sind, aber wieder nur am Konservatorium sind und später selbst unterrichten.
Also gibt es noch einiges zu tun vom feministischen Standpunkt her, oder?
Auf jeden Fall. Aber zumindest kann ich heute sagen, dass ich Feministin bin, ohne mich verstecken zu müssen, wenn ich das früher zu meinen Freundinnen sagte, behaupteten sie, ich wolle wie ein Mann sein, also hielt ich den Mund, las meine Bücher und wartete darauf, dass sie selbst drauf kommen. Ich und die Männer hassen? Ganz im Gegenteil, ich betrachte sie als meine Freunde und wie schon gesagt, viele meiner wichtigsten Lehrer waren Männer, das ist einfach absurd.
Außerdem sind die Männer ja auch nur Menschen…
Ganz genau.
Interview erschienen in ANDA 139