Andrés Marín ist ein interessanter Interviewpartner. Aufmerksam, interessiert und es entgeht ihm nichts. Da gibt es keine Platituden, kein nur so dahingesagtes, jedes Wort wird auf die Goldschale gelegt und er lässt nichts durchgehen. Er ist gebildet, weiß viel und kann seine Ansichten klar begründen. Bei unseren Dreharbeiten in Sevilla stürzt sich Sibylle Tiessen mutig ins Gefecht, das Mikro ist noch nicht eingeschaltet und die Kamera noch nicht aufgestellt, aber das macht nichts, Andrés ist bereit und nachdem Sibylle ihm erklärt hatte, warum sie diesen Film machen möchte und was sie am Flamenco abseits des Klischees interessiert, kann es losgehen. Andrés beseitigt zuerst einmal alle Zweifel.
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Das Klischee hat Franco verkauft, aber Achtung! Es wird auch heute noch verkauft, zusammen mit dem Olivenöl und den Oliven. Und den Fächer gibt es gratis dazu. Auch manche Künstler tun das, weil sie kein Kriterium haben. Weil es etwas Sicheres ist, sie beschützen es, weil sie sich nicht öffnen wollen. Das ist ein Geschäft!
Das finde ich sehr interessant, wir haben auch schon María Pagés und Torombo gefilmt und …
Ah, den Flamenco puro, den reinen Flamenco, das ist gut, weil mit Torombo hast du ja gleich einen schönen Kontrast. Eigentlich das gleiche, aber eine andere Sichtweise. Ich mache das gleiche, aber weniger nostalgisch, weniger romantisch.
Verschiedene Formen, aber alles ist Flamenco.
Natürlich. So wie alles Malerei ist. Das Problem gibt es erst, wenn jemand sagt, dass Picasso nicht gemalt hat, oder Munch, oder Orozco. Wie wenn es in der Gastronomie nur Kartoffeln und Reis gibt. Oder nur Puchero und Cocido, so ganz rudimentär.
Das Problem liegt in der Definition
Ich glaube nicht, dass es ein Problem ist, sondern dass hier den falschen Dingen Bedeutung zugemessen wird. Die Immigranten. Es ist ein Problem, dass wir sie nicht aufnehmen können, dass es nicht genug Geld für das Gesundheitswesen gibt, dass wir uns nicht um die Alten kümmern, verstehst du? Das sind wirkliche Probleme. Und wenn sie sagen, dass man den Flamenco mit einem Stock tanzen muss und ich sage, dass es nicht so ist, dann ist das kein Problem. Das ist ein „lightes“ Problem. Das ist nur Geschwätz und es hat keine Bedeutung. Im Leben darf man nicht stehenbleiben. Weder Torombo noch ich oder Pepito. Das Leben geht weiter und alles geht seinen Lauf, es ist ein Zyklus, das war schon immer so.
Trittst du gerade mit einem Stück auf?
Hier gibt es im Moment nur Sommerspektakel. Das hängt davon ab, wo du auftreten willst und ich mache Stücke fürs Theater. Ich weigere mich für Leute aufzutreten, die glauben, dass der Flamenco nur etwas wert ist, wenn man ihn in einer Taverne vor 4 Betrunkenen aufführt. Der Flamenco ist eine Kunstform, er kann sich erweitern, ohne seine Essenz zu verlieren und du kannst dich verkleiden als was du willst, wenn Flamenco drin ist kommt auch Flamenco raus. Der Inhalt muss stimmen und ich denke, dass der Flamenco in die guten Theater gehört, weil er es verdient und ein erstklassiges Publikum braucht und eben nicht 4 Betunkene, die Olé und Olé schreien, das mag schon eine Zeit lang ganz nett sein und es ist eine Form der Gemeinschaft. Ich suche aber eine andere Form der Gemeinschaft, ich will in die Tiefe gehen. Und wenn ich mit einem Architekten oder mit einem Fotografen oder einem zeitgenössischen Tänzer arbeite, dann entsteht am Ende ein Werk. Das ist wie ein großes Abenteuer, bei dem du nicht weißt, was passieren wird. Es interessiert mich einfach nicht, immer das gleiche zu machen.
Was ist denn der Flamenco für dich?
Für mich ist der Flamenco das Vehikel, das es mir erlaubt, auf die Reise zu mir selbst zu gehen um mein Innerstes spirituelles Sein zu finden, es erlaubt mir aber auch andere Menschen zu finden, die die gleiche Unruhe spüren, es ist eine Möglichkeit, seine Kreativität zu erweitern.
Wenn du mich aber fragst, was der Flamenco ist, ist die Antwort eine andere, das hat mit der Frage „Was ist der Flamenco für dich?“ gar nichts zu tun. Dann ist der Flamenco eine Serie von Palos aus der Baja Andalucía und eine Mischung vieler Kulturen.
Wie war dein Weg aus einer traditionellen Flamencofamilie bis dahin, wo du heute bist?
Ich wurde in eine Familie mit 5 Kindern geboren, mein Vater war Tänzer, meine Mutter Sängerin. Ich hab mir das nicht ausgesucht. Ich habe 4 Geschwister und der einzige, der tanzt, bin ich. Das hängt mit meiner Persönlichkeit zusammen, ich bin eben so. Ich liebe die Kunst im allgemeinen, ich lerne gerne, ich bin neugierig, ich sauge andere Menschen und ihre Gefühle in mir auf, ich interessiere mich für vieles und ich glaube, dass alle Künste gemeinsam existieren können, wenn sie dabei nicht ihre Identität verlieren, jeder muss wissen, wo sein Platz ist.
Du arbeitest mit vielen Künstlern aus anderen Disziplinen zusammen, was interessiert dich dabei?
Wie gesagt, ich hasse Klischees und im Flamenco gibt es viele, die dem Flamenco ein Klischee drüberstülpen und damit schränken sie ihn ein, sie verkaufen einen fertigen Prototyp. Eine Marke ist zwar eine Marke, aber sie kann sich verändern, sie kann sich öffnen und neue Dinge mit einschließen.
Ich arbeite mit Künstlern wie Bartabas, mit Hiphop Tänzern oder indischen Musikern und erlebe so immer neue Abenteuer. Es interessiert mich nicht, immer das gleiche zu tanzen und oft suchen die Flamencos, wenn sie zum Beispiel mit indischen Musikern arbeiten, die Ähnlichkeiten, mich interessieren die Widersprüche. Die Ähnlichkeit ist ja sowieso vorhanden, die ist offensichtlich. Ich nehme den Flamenco aus seiner gewohnten Umgebung heraus und stelle ihn in eine andere, aber klar, um das tun zu können, musst du den Flamenco sehr gut kennen, damit er beim Verpflanzen nicht seine Essenz verliert.
Das ist so wie in der Gastronomie: Wenn du einen der Traditionalisten fragen würdest, was denn die „Grands Chefs“ so machen, würden die antworten: „Was die machen? Nur Blödsinn!“ Ich sage hingegen, dass das in der Gastronomie genauso ist wie in der abstrakten Malerei oder der modernen Musik, ein Grand chef muss sehr viel über die traditionelle Küche wissen um etwas anderes machen zu können.
Man muss vor der modernen Küche und vor dem sogenannten „Neuen“ Flamenco keine Angst haben – eigentlich weiß ich gar nicht, was das sein soll, denn der Flamenco war schon immer durchsetzt mit Einflüssen aus anderen Tanzarten und Musikwelten, seit es ihn gibt war das so und ich finde das gut.
Am 11. September zeigt Andrés sein Stück „Carta blanca“ im Rahmen der Bienal de Sevilla um 23.00 im Teatro Central.
Titelfoto: Fidel Meneses