Ana Morales hat eine Gabe, die nur wenige Künstlerinnen besitzen. Ihr gelingt es, die Szene so zu verdichten, dass man sich einfach nur ergeben kann. Kaum hat man Zeit sich zurückzulehnen, kaum Zeit Luft zu holen, so sehr nimmt sie den Raum ein, nicht nur den Bühnenraum, ihre Kraft umfängt den ganzen Saal, sodass man irgendwann einfach alle Viere von sich streckt und sich wehrlos ergibt. Und es ist nicht so, dass sich die Spannung aufbaut, wie in einem guten Roman, dass alles ganz harmlos beginnt und sich zielstrebig auf den Höhepunkt zu bewegt um sich dann am Ende in Wohlgefallen aufzulösen, oh nein, schon gleich zu Beginn hat sie dich im Griff, obwohl sie nur ihren Kopf in die Hände von Sandra Carrasco legt, sanft aber nachdrücklich und da ist schon das erste Geheimnis: wie schafft sie es nur in einer kleinen Geste alles zu sagen, sie schenkt dir ihr Herz, aber nur um es gleich wieder an sich zu holen, aber diesen kleinen Augenblick vergisst du nie. Nicht an dem Abend und nicht die Tage danach.
„Lo indefinido“ – das Unbestimmte, das Nicht Greifbare, das Großzügige und das Unbekannte, das Grenzenlose und das Weite – der Titel lässt vieles offen und dennoch ist es ein Titel. Ein Paradoxon mit einer tiefen Bedeutung – je mehr man versucht es zu bestimmen, desto mehr scheint es sich zu entziehen.
Alle scheinen eins zu sein und doch ist jeder allein, aber nicht verlassen. Sandra Carrasco mit ihrer Zerbrechlichkeit fängt Ana Morales auf , bevor sie fällt, aus der Tiefe ihres zarten Körpers holt sie diese unglaubliche Stimme und lässt sie über die Köpfe schweben um dann umso tiefer einzudringen, wie schwerer, dunkler Samt. Daniel Suárez macht einen Schritt nach vorn aus seiner sonst so diskreten Perkussionsbegleitung und spielt ein Trommelsolo, das ich in dieser Form im Flamenco noch nie gehört habe. Juan José Amador verführt mit einer wunderbaren Vidalita und dann ist da natürlich Juan Antonio Suárez „Canito“. Seine Petenera aus „Sin Permiso“ ist eines der schönsten Gitarrenstücke des aktuellen Flamencos, mit seinen ständigen Wiederholungen, die sich im Kopf festsetzen und am nächsten Morgen, wenn du aufwachst, als erstes da sind, eine immerwährende Musik, die dich glauben macht, dass alles immer wieder gut wird. Seine Version von „Los cuatro muleros“, einzigartig, gewagt und reich, wird die Zeit überdauern.
Und über und mit allen Ana Morales mit der Kraft einer Löwin, der die Bata wie ihr Junges folgt, die schmeichelt und sich widersetzt, die zu fliegen scheint und sanft zu Boden gleitet, Ana Morales,der einfach alles gelingt, jede Drehung und jeder Zapateado, jeder Blick und jeder Sprung. Die sich mit der Hand auf die Brust schlägt um zu sagen, da ist es, mein Herz und es gehört mir. Auch wenn ich es euch für eine Stunde gegeben habe.
Text: Susanne Zellinger
Fotos: Fundación Cajasol