Im Rahmen des Festival de Jerez im Februar 2016 präsentierte der 1971 in Jerez de la Frontera geborene Flamencogitarrist Alfredo Lagos seine erste, 2015 erschienene Solo-CD, „Punta de Fuga“. Schon allein die mitwirkenden Künstlerinnen und Künstler spiegeln nicht nur seine fixe Verankerung in der aktuellen Flamencoszene wieder, sie stehen auch in linearer Verbindung zu den verschiedensten gemeinsamen Produktionen, die in den letzten Jahren entstanden sind.

Linien, die sich vielleicht in einem gemeinsamen Fluchtpunkt, Punta de Fuga, treffen, ein Punkt, der aber auch den persönlichen Ausgangspunkt in neue Flamencowelten repräsentieren soll und bei „Maestro Riqueni“, einer Rondeña mit abschließender Caña seinen Ausgang nimmt. Der bewusst antiquierte Gitarrensound dieser Eröffnungsnummer führt in die Urzeiten der Solo-Flamencogitarre eines Ramón Montoya zurück, repräsentiert doch der gerade einmal neun Jahre ältere Riqueni ebenfalls die neuere Generation der Flamencogitarristen, trotzdem aber jene Generation, die, botanisch gesprochen, als direkte Ableger von Paco de Lucía bezeichnet werden können.

Einmal vorweggenommen: Für mich ist „Punta de Fuga“ eine rundum gelungene CD, eine für Jerez typische CD des modernen Flamenco, was bedeutet, schöne kompositorische Linien, die nie ins Banale gleiten aber auch nicht so abstrakt werden, dass sie in ein bisweilen mühsames Rätselraten führen, um welchen Palo es sich bei diesem Stück wohl handeln könnte.

Mein persönliches Herzstück dieser Aufnahme ist „Riotinto“, ein Fandango de Huelva mit der Stimme von El Guadiana aus Badajoz, eine Nummer, die ich schon 2005, ebenfalls beim Festival de Jerez, im Rahmen des Programms „Arena“ von Israel Galván in Zusammenarbeit mit dem leider viel zu früh verstorbenen Fernando Terremoto und eben Alfredo Lagos gehört habe, damals allerdings als reine Gitarrennummer. Wer selbst in irgendeiner Form kompositorisch tätig ist, weiß, dass es sogenannte „Würfe“ gibt, die auf Anhieb so gelungen sind, dass sie einen über Jahre, wenn nicht ein Leben lang begleiten, und so ein Wurf ist das lyrisch-rhythmische Thema dieses Fandango. Und so erstaunte es mich nicht, diese Nummer in variierter Form nun Jahre später auf der ersten Solo-CD von Lagos zu finden.

„All Free“ bezieht sich wohl teilweise auf die harmonisch schräge, aber gleichzeitig sehr schöne Einleitung, bevor sie sich als erdige Soleá por Bulería por arriba, also in E-Dur, präsentiert, der Zapateado von Israel Galván begleitet die Nummer. In „Los Pájaros Perdidos“ wird die Musik von Astor Piazzola verarbeitet, mit der Stimme von Estrella Morente. Mit dem Titel bezieht sich Alfredo Lagos auf verstorbene Wegbegleiter seines Lebens, sowohl aus künstlerischen als auch aus familiären Kreisen. Vervollständigt wird die gelungene Mischung der CD natürlich von einer Bulería, einer Taranta, Tanguillos und Tangos, schräge harmonische Elemente werden dabei gekonnt verarbeitet und, wie z.B. beim Tangos, durch eine strenge und dichte Rhythmik so ausgeglichen, dass an der Power der einzelnen Stile nichts verloren geht. Abgerundet wird die CD von „Escrito en el Agua“, neben der Stimme seines Bruders David Lagos ist auch der Poet schlechthin unter den Flamencosängern, Diego Carrasco zu hören. Jedem Aficionado sei diese CD jedenfalls wärmstens empfohlen!

(2015, Universal Music Spain, D.L.: M-14133, erhältlich unter anderem bei www.deflamenco.com)