De Vidas: Über Leben oder Überleben

Mit dem Stück De Vidas der Tänzerin Rocío Garrido aus Granada, Gewinnerin des Premio Desplante 2023 wurde gestern der neue Schauplatz des Festival de Jerez, das Centro Social Blas Infante eingeweiht. Abgesehen davon, dass der Saal weit weg vom Geschehen liegt und für Tanz nicht geeignet ist, weil man ab der dritten Reihe die Füße der TänzerInnen nicht mehr sieht, offenbarte sich gleich zu Beginn ein anderes Problem.

Während auf Bühnen, wo der Nebel im Bühnenraum bleibt, hüllte er hier das Publikum für Minuten ein, wodurch eine Stimmung erzeugt wurde wie in den englischen alten Filmen, in denen nach Jack the Ripper gesucht wird. Gewollt oder nicht gewollt, das ist hier die Frage, wobei ich eher auf letzteres tippe.

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Genauso wie die Frage, warum als Einstieg die Lacrimosa aus dem Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart gewählt wurde. Ein Abgrund der Verzweiflung aus der Mitte des Requiems, das, wie wir wissen, von Mozart nicht beendet wurde, sondern von einem seiner Schüler, dem österreichischen Komponisten Franz Xaver Süßmayr.

Hier mag eine Parallele liegen, denn die künstlerische Leitung lag in den Händen von Eva Yerbabuena, Lehrerin und Vorbild von Rocío Garrido.

3a Das Drama

Ihr Einfluss war spürbar, ihre Ideen sichtbar und wie auch bei Eva selbst, blieben diese im Nebel verborgen. So verbringt Rocío Garrido die ersten, langen Minuten damit auf der Bühne herum zu humpeln, weil sie auf einem Fuß einen hochhackigen Stiletto trägt, der andere ist barfuß, schon klar, amputiert, ihrer Identität beraubt, ein Kampf gegen Windmühlen, den sie nicht gewinnen kann, ihre Verzweiflung ist spürbar, aber unerklärlich. Müssen wir also zu Lorca zurückkehren, zu den Frauen, die gefangen, gefesselt, ohne Ausweg in einem Gefängnis verharren – in diesem Fall ein Stuhl ohne Boden, in dem sie von El Oruco herumgezerrt wird – dafür ist mir diese Frau viel zu jung. Oder lebt sie hier das Leben ihrer Mentorin?

Fragen über Fragen, deren Antworten nur durch ein KünstlerInnengespräch geklärt werden können, aber das gibt es hier ja nicht.

Als sich der Nebel klärt und Rocío Garrido zu tanzen beginnt, ist es für mich schon zu spät. Wie bei einem guten Roman muss der Rhythmus auch bei einem Tanzstück stimmen.

4 Pepe de Pura

So also schwenkte mein Blick und meine Aufmerksamkeit zur Musik ab und die war großartig. Ein Pepe de Pura en estado de gracia, die junge Sängerin Esperanza Garrido und vor allem die herausragenden Kompositionen des Gitarristen David Caro retteten ein Stück, das als Konzert Ovationen geerntet hätte. De vidas  wurde jedoch am Ende zu Grabe getragen, aber wenigstens gab es Rosen.

5 Gute Nacht

 

Rocío Garrido

De Vidas

CSBI

23.02.2025

www.festivaldejerez.es

Fotos: Tamara Pastora

Text: Susanne Zellinger