Als ich vor vielen Jahren nach Spanien übersiedelte, war Manuel Bohórquez Casado einer der Flamencokritiker, die ich immer las, als sein Buch „A Palo Seco“ herauskam, dachte ich zum ersten mal selbst daran, über Tanz zu schreiben. Viele seiner Kolumnen von damals sind auch heute noch aktuell und sollte er einmal ein Buch mit Anekdoten aus der Flamencowelt herausgeben, bin ich die erste, die es kauft.
Der Fotograf Paco Sánchez hat in seinem Archiv wahre Schätze verborgen, die er mir immer großzügig zur Verfügung stellt, so wie das Titelfoto von den Rollings.
Mick Jaggers Unterhosen
Die spanischen Intellektuellen, vor allem die trashigen, stört es, wenn der Staat dem Flamenco und den Flamencos zu viel Aufmerksamkeit schenkt. Während die bedeutenden Musiker der Welt von dieser Musik begeistert sind, wundert sich die intellektuelle Oberschicht, dass zwei Gitanos auf den neuen Briefmarken verewigt werden sollen. Und wenn sie über sie sprechen, bezeichnen sie sie nicht als andalusische Bürger, denn das waren sie; ja nicht einmal als Künstler, sondern, und das ist wirklich der Gipfel, als „Folkloristen“, als Volksmusiker. Francisco Umbral, der neben anderen interessanten Werken vor Jahren eine Biographie von Lola Flores herausgegeben hat – eine sehr schlechte übrigens -, hat geschrieben, dass er befürchte, dass es eines Tages auch noch Marken mit Lina Morgan oder Carmen Martínez Bordiú geben könnte.
Mit anderen Worten: Herr Umbral hat keine Ahnung, wer Camarón de la Isla ist und was er für die Musik nicht nur Andalusiens, sondern auch Spaniens und der Welt bedeutet.
Diese Leute wissen nicht, dass Miles Davis, der große schwarze Musiker, sich immer hinkniete, um Flamenco zu hören; dass für Maya Plisetskaya, die sowjetische Tänzerin und Choreografin, Flamenco über dem klassischen Ballett stand; dass, laut dem New Yorker Perkussionisten Ray Barreto, die New Yorker Salsa-Musiker von Jazz und Flamenco gelernt haben; dass Igor Stravinsky zwei Dinge zum schweben brachten, eine davon der Flamenco; dass dem einzigartigen Künstler Tom Waits, jedes mal das Herz aus der Brust zu springen drohte, wenn er Flamenco hörte, dass Mike Oldfield Paco de Lucía verehrte, dass der kanadische Musiker, Dichter und Schriftsteller es nicht glauben konnte, dass Enrique Morente eine Platte mit seinen Liedern herausgeben wollte; dass José Luis Borges Brahms liebte, allerdings erst an dritter Stelle, nach den Spirituals und dem Flamenco; dass für den brasilianischen Komponisten und Star der internationales Pop-Fusionszene Djavan Camarón einer der wichtigsten Sänger der Welt war; dass das, was der japanische Sänger und Autor Ryuichi Sakamoto von Spanien kennt, der Flamenco ist; dass der Wiener Pianist Friedrich Gulda den Schock seines Lebens bekam, als er nach seiner Scheidung die Platten von Carmen Amaya und Sabicas nicht mehr wieder fand; dass ….. . Wie auch immer, warum sollte ich das fortsetzen. Das ist es nicht wert.
Als Enrique Morente der Premio Nacional de Música verliehen wurde, wollten einige der Jury Mitglieder tatsächlich einen Spezialpreis für Folklore kreieren, weil sie es übertrieben fanden, dass ein Cantaor mit eben diesem Preis ausgezeichnet werden sollte. Und das in Spanien, was es natürlich noch schlimmer macht. Es ist nämlich so, falls Sie das nicht wissen sollten, dass für einige Intellektuelle und manche Künstler der Flamenco immer noch das ist, was wir Andalusier in den Tavernen machen, während sie arbeiten und diverse Wunder vollbringen.
Mick Jagger tauchte einmal in einem Hotel auf, in dem Camarón wohnte, mit der Absicht, seine Unterhose gegen die des genialen Cantaors aus San Fernando zu tauschen, um zu sehen, ob etwas auf ihn abfärben würde. Da kann es uns doch wirklich egal sein, ob die Post dies oder das mit Lola und José gemacht hat.
Text: Manuel Bohórquez, „A Palo Seco“, 21 de Junio de 1996
Titelfoto: Paco Sánchez
Übersetzung: Susanne Zellinger