Wenn das nicht die beste CD von Rafael Cortés ist, dann nur aus einem Grund: Man weiß nicht, was noch kommt. In den letzten Jahren, unter anderem mit „Cagiñi“ oder „Blanco y Negro“, ist der 46-jährige Gitarrist derart kreativ, dass man sich fragt, wo das alles herkommt, aber auch, wo es noch hinführt.

„Así lo siento“ besteht aus einem Dutzend glitzernder Perlen, die man wie eine Gebetskette den ganzen Tag in der Hand drehen möchte. Ein sehr persönliches Kunstwerk in Form zwölf liebevoll geschriebener Stücke, keines davon nur Durchschnitt.

Meine (aktuellen) Favoriten sind das Titelstück „Así lo siento“ (wie fast alles von Rafael Cortés komponiert, arrangiert, eingespielt und produziert), aber auch (das mit seinem alten Kumpel Juanfe Luengo komponierte) „Viejos Amigos“. Aber jedes Stück hat seine Geschichte.

Schon das erste Stück hat klasse. Bemerkenswert nicht so sehr, dass neben der Gitarre auch der Gesang von Rafael kommt. Vielmehr muss man sagen: Wenn es ein Lehrbuch mustergültig gespielter Palos gäbe, gehörte „Tacita de Plata“ hinein. Alle Elemente einer Alegría werden meisterlich und mit Verve dargeboten, im schönsten traditionellen Stil.

Das nächste Stück, die ruhige Soléa „El Capitán“, ist eine Referenz an Luis Vargas aus Valencia. Dessen Präsenz durchzieht wie ein guter Geist viele der neuen Stücke von Rafael. Luis ist selbst ein Gitarrist der Spitzenklasse, allerdings ist er so gut wie nie selbst auf der Bühne zu sehen. Zugleich gilt Luis als absoluter Kenner der Spielweise von Paco de Lucía und der alten, traditionellen Flamencosänger.

Die Bulerías „Que miralá“ klingen nach Madrid. Schließlich sind sie Jesús de Rosario gewidmet, einem Gitarristen aus Madrid, genau gesagt aus Caño roto, die als beste Madrider Flamencogitarrenschule gilt. Die Letra dieses Stücks kommt von Luis Vargas, die Coros von Luis Vargas und Rafael Cortés zusammen.

Dann kommt „Así lo siento“. Es macht einfach nur Freude. Musikalisch der Hammer, ein Ohrwurm ohnegleichen. Es bringt Rafaels gefühlvolle Spieltechnik mit Kraft und Präzision auch musikalisch auf den Punkt. Beim Zuhören schlendert man durch die holperigen Gassen des Albaicín, man hat die Alhambra in roter Abendsonne vor Augen, riecht die Orangen an den Bäumen und schmeckt die Luft des maurischen Andalusien. Den Chorgesang am Ende von „Así lo siento“ machen Tochter Vivienne Cortés und Schwester Isabel Cortés wunderbar.

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Mit dem anschließenden „Viejos amigos“ setzen Rafael Cortés und Juanfe Luengo, die sich seit den ersten gemeinsamen Gitarrenstunden vor über 35 Jahren kennen, ihrer langjährigen Freundschaft ein musikalisches Denkmal. Das Stück entstand an einem Nachmittag, einzelne Themen hatten sie schon vor langer Zeit entwickelt. Heraus kam ein wunderschöner Vals mit traditioneller Note und romantischem Streicherarrangement, bei dem die beiden sicherlich ab und zu ein wenig schmunzeln mussten.

Die Tarantas „La luz del Farol“ sind in ihrer melancholischen Grundstimmung erstens musikalisch sehr schön und zweitens spieltechnisch betrachtet auf höchstem Niveau. Die beiden Tremolopassagen kann man getrost zu den schönsten zählen, die man auf einer Gitarre zu hören kriegen kann.

„Manzanita“ ist eine Hommage an den mittlerweile verstorbenen Sänger und Gitarristen, der Vielen als Legende für die Kombination von Flamenco, Pop und Ballade oder schlechthin als Ikone der Rumba in Spanien gilt. Alles das lässt sich mit etwas Fantasie aus diesem Stück heraushören.

Die Tangos „Con la voz del viento“ bieten eine einmalige Zusammensetzung. Luis Vargas und Rafael Cortés spielen die Gitarren. Der Gesang kommt von „El Chino“ (Rafael Vargas) aus Valencia. Das Ganze ist mehr als hörenswert.

Die mit unglaublicher Leichtigkeit daherkommende Rumba „Vivienne“ dann ist Rafaels Tochter gewidmet. Dazu kann man nicht viel sagen. Man muss sie einfach hören. Schöne Melodieführung, feine Harmoniegebung, passendes Arrangement.

„Gloria al Molinero“ ist eine schöne, getragene Sevillana in Andenken an Angel Martínez. Angel war ein Flamencosänger, mit dem Rafael und Juanfe groß geworden sind. Sie traten gemeinsam auf und haben viel von ihm gelernt. Angel würde sich freuen, sie zu hören. Vielleicht tut er das auch gerade.

Die Rumba „Lakela“ ist jazzig arrangiert und Domingo Patricio (Querflöte), aber auch Volker Kamp (E-Bass) auf den Leib geschrieben. Sie entstand im Studio von Rafael. Beide zeigten aber auch in den Konzerten mit Rafael, zuletzt im Dezember beim großen Konzert in der Essener Lichtburg, ihre außergewöhnlichen Flamenco-Qualitäten.

Das „Ave María“ ist – im Original mit Klavier und Gesang – eines meiner absoluten Lieblingsstücke. Rafael liebt dieses Stück offenbar auch. Gitarristen werden verstehen, mit welcher Eigenart und Finesse es gespielt wird. Rafael sollte noch mehr aus den Liederzyklen von Schubert einspielen.

Bei seinem alljährlichen Konzert vor Weihnachten in der ausverkauften Essener Lichtburg, dem altehrwürdigen Kino mit seinen über Tausend roten Plüschsesseln, spielte Rafael von der neuen CD die Stücke „Vivienne“, „Así lo siento“ und „Lakela“.

Aber es war alles, was er spielte, von neuer Qualität. Lag es daran, dass er monatelang Tag und Nacht im Studio war und nur noch gespielt hatte? Lag es an der besonderen Note durch die musikalischen Mitstreiter, die er immer wieder hinter dem Vorhang hervorzaubert? Oder lag es gar an der Gitarre, eine „1 F Extra Signature“, die die Hermanos Sanchis López speziell für ihn gebaut hatten? Jedenfalls hatte ich Rafael – Spieltechnik, Bühnenpräsenz Zusammenspiel – noch nie so stark und mitreißend spielen hören. Er ist im Moment ziemlich weit oben. Die gerade im Handel erschienene CD „Así lo siento“ gibt das, obgleich im Studio aufgenommen, eindrücklich wieder.

TEXT: WALDEMAR MATHEJCZYK // FOTOS: JUANFE LUENGO