Anna Natt ist mit ihrer neuen Produktion „Dame Gothel … it hurts to be beautiful“ im Rahmen des Freischwimmer-Festivals auf Tournee. Vergangene Woche war sie damit im Wiener Theater Brut zu sehen.
„Dame Gothel … it hurts to be beautiful“ ist ein Stück rund um das Thema Schönheit und Wahn. Schönheitswahn. Mit Flamencoelementen.

Anna Natt und drei Harfinistinnen erschaffen Personen und Stimmungen, die verblüffen. Und das ist es, was mich an diesem Abend so berührt hat. Die absolute Verblüffung. Anna Natt ist Performerin und Flamencokünstlerin. Sie arbeitet mit somatischen Methoden und stellt minutiös genau Figuren dar – in ihrem Sein, ihren Mimiken und Bewegungen. Ihr gesamter Körper verwandelt sich. Dame Gothel hat viele Facetten. Und sie schmerzt. Wie die Schönheit eben.

Märchen wie Rapunzel spielen an magischen Orten außerhalb des Alltäglichen, in Parallelwelten, verzauberten Wäldern, uneinnehmbaren Türmen und endlosen Wüsten. Viele dieser Märchen beschreiben, wie gefährlich es ist, dem eigenen Begehren nachzugehen. «Dame Gothel…it hurts to be beautiful» lockt das Publikum in solch eine magische Welt voller Harfen, Haare und Pferde und fragt nach dem Preis der Schönheit. (Aus der Ankündigung)

Rapunzel, Lady Gaga und ein Salat

Vielleicht war ein Ausgangspunkt das Märchen von Rapunzel mit ihren langen Haaren? Oder war es Lady Gaga? Ich kann es nicht unterscheiden, ich weiß nicht, wer diese Frau im fleischfarbenen Latexoverall mit den langen, blonden Haaren ist. Sie bewegt sich grotesk, ihre Haare jedoch schwingen in verführerischen Wellen wenn sie hüpft und schwingt.

Und ich weiß nicht, wer die Figur mit dem großen, lockigen Bart ist, die wie in einer Geheim-Code-Sprache die Aufmerksamkeit auf einen Salatkopf lenkt. Die Figur scheint zentral und wichtig zu sein und Anna Natt gibt ihr durch ihre Konsequenz ein unhinterfragbares Gewicht. Der Mann mit dem Bart und dem Salat! Es ist fast so absurd wie in David Lynchs „Twin Peaks“, das selbst in der Bar des Theaters Brut referenziert wird. Aber Anna Natt kennt die Twin Peaks Details nicht, wie sie mir erzählt. Es ist nur meine Welt – in die sie so aalglatt eintaucht, als wäre es ihre. Ist das nicht großartigste Kunst? Dieses Referenzieren, die Exaktheit. Das Eintauchen in meine Welt. Zweifellos.

Drei Harfinistinnen

Nach dem Mann im Bart setzt sich Anna Natt in ihre Schönheits-Ecke vor dem ovalen Spiegel. Das Licht nimmt den Fokus weg und rückt die drei Harfinistinnen noch mehr ins Geschehen. Harfe – was für ein undurchschaubares, feenhaftes Instrument. Und gleich drei davon, von drei Frauen in schwarz gespielt. Gezupft, gestrichen, angehaucht, beklopft. Sissi Rada (die auch die Musikalische Leitung des Stücks inne hatte), Anna Steinkogler und Lucie Delhaye sind KünstlerInnen höchsten Niveaus auf ihrem Instrument, die sich für „Dame Gothel…it hurts to be beautiful“ einer zeitgenössischen Musik hingeben und ihren Harfen die verstaubte Museumsästhetik nehmen. Harfen – sie sind genauso richtig und selbstverständlich wie alle anderen Elemente des Stücks. Unhinterfragbar. Die Klangwelt unterstreicht die grotesken, wundervoll-harmonischen und absurden Stimmungen des Stückes. Nun aber, während sich Anna Natt so langwierig vor dem Spiegel bewegt, schicken sie nicht nur Klänge in den Raum, sondern betreten ihn selbst. Mit ihren schweren Harfen, die sie schieben, drehen und neu platzieren. Am Ende ihres Pas-de-trois spannen sie ein Dreieck und wir im Publikum können hinter die Kulissen der Harfe blicken. Wir erleben die Bewegungen der Spielerinnen, ihre Rücken, ihre Beine. Als würden wir der Maschinerie zusehen.

Künstliche Beine

Dann hören wir ein mechanisches Gehen, einen Stock und metallene Gelenke. Dame Gothel (oder wer?), steckt in hohen Roboterbeinen, die an die Hinterbeine von Pferden erinnern. Sie geht beschwerlich. Sind es Prothesen? Ist sie eine alte Frau, die an Fäden der Welt zieht wie ihre Metallseile an diesen Gelenken? Ich weiß es nicht, wer sie ist. Ich weiß nur: sie ist. Sie geht im Kreis, sie bleibt stehen. Lässt uns Zeit, sie zu erleben. Verblüffend. Dann setzt sie sich breitbeinig auf einen hohen Stuhl und die zweite Flamenco-Sequenz des Abends fließt in das Geschehen.

Flamenco?

Anna Natt zeigt ihre Stücke eher selten bis gar nicht in einem Flamenco-Kontext. Es sind zeitgenössiche Performances und passen eventuell besser in Festivals aus dieser Schublade. Ostern 2016 zeigte sie Uro beim Festival im Tanzhaus nrw überhaupt erstmals bei einem Flamenco-Festival. Das Freischwimmer-Festival, das Dame Gothel ko-produziert hat und nun damit auf Tournee ist, ist ein Festival für zeitgenössische Theater/Performance und Live-Art. Dass Anna Natt vom Flamenco kommt, kann man ihr ansehen, wenn man will. Dass sie Flamencoelemente als ästhetische Werkzeuge verwendet, ist offensichtlich, wenn man sie kennt. Hände und Arme können „flamenco sein“, wenn man das braucht. Rhythmische Sequenzen können „flamenco sein“, wenn man sie benennen will. Flamencoschuhe gibt es keine in diesem Stück, sie bewegt sich barfuß oder mit metallenen Pferdefüßen. Flamencomusik? Eventuell, wenn wir die Harfe als Instrument akzeptieren, das auch Flamenco spielen kann. Musikalisch gibt es geklopfte Flamenco-Rhythmen und düstere Flamenco-Stimmungen. Das „Flamenco“ kann man hier überall stehen lassen, wenn man es braucht, muss man aber nicht. Es ändert nichts am Stück – weder an der Verblüffung, noch an dem Staunen.

Anschauen! Die Tourdaten

Meine Empfehlung: schaut euch „Dame Gothel…it hurts to be beautiful“ an, taucht ein in ihre Welt und lasst sie in eure Welt. Lasst euch verblüffen und vielleicht könnt ihr die geheime Sprache rund um den Salatkopf entziffern!

Hier sind die restlichen Tourdaten:

 

  • 10.-14.01.2017 – Mousonturm, Frankfurt, Deutschland
  • 20./21.01.2017 – Schaubühne Lindenfels, Leipzig, Deutschland
  • 24./25.01.2017 – FFT, Düsseldorf, Deutschland

 

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